RA Herbert Pochieser: “Wie blau ist der Verfassungsgerichtshof?”

Dass der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung für die sogenannten Blauen schlichtweg die Verfassung missachtete, wurde erstmals vom emeritierten Universitätsprofessor Dr. Köck in „die Presse“ klipp und klar aufgezeigt:
http://diepresse.com/home/recht/rechtallgemein/5042556/Hochstgericht-haette-Waehlerwillen-achten-mussen?from=newsletter

Die beste Analyse, wie schlichtweg daneben (neben der Verfassung bzw. sogar  gegen die Verfassung, gegen die Gesetze der deutschen Sprache) diese Entscheidung ist, liefert  Anwalt Noll: Wahlaufhebung als “erziehungsdiktatorische Vorgabe” – KURIER.at
http://m.kurier.at/politik/inland/anwalt-noll-wahlaufhebung-als-erziehungsdiktatorische-vorgabe/208.047.073
 
Es wird zwar immer wieder von den Verfassungsrichtern beschworen, dass trotz parteipolitischer Besetzung des Gerichtshofes (derzeit werden Richter entweder dem roten oder schwarzen Lager zugerechnet) diese bei Entscheidungen nicht tragend sei und sich die parteipolitische Ausrichtung nach Aufnahme der Tätigkeit praktisch erledige (und man sich von der Parteipolitik nicht leiten lasse).
 
Das ist zwar vor dem gegenständlichen Kontext absolut richtig (da die Entscheidung des VfGH weder parteipolitisch schwarz noch rot ist, sondern blau). Es stellt sich somit die Frage: wie blau ist der Verfassungsgerichtshof?
 
Es ist ein allgemein bekanntes Phänomen, insbesondere bei Meinungsumfragen, dass sich aufgrund der bedenklichen Inhalte, die von den Blauen in verschiedenster Hinsicht vertreten werden, viele Menschen, die blau sind und blau wählen, nicht offen dazu bekennen. Das Judikat des Verfassungsgerichtshofes ist eine Parteinahme für die Blauen, das politisch nationalistische Lager Österreichs, gegen die Verfassung. Wenn man so will, ist es auch ein Putsch gegen die Verfassung durch die Richterschaft des Verfassungsgerichtshofes.
 
Ich habe bei einer früheren Aussendung schon zu Auszügen aus der Beschwerdeschrift der Blauen Stellung genommen und festgestellt, dass es sich dabei nicht unwesentlichen Maß um parteipolitische Agitation unter Vorgabe den Wähler zu vertreten, handelt. Dass mit dieser Beschwerdeführung dem Verfassungsgerichtshof und seinen 14 Richtern im Einzelnen rechtlich Unvertretbares eingebläut wurde, glaube ich eher auch nicht. Der Verfassungsgerichtshof ist auf die Agitation der blauen Beschwerdeführung aufgesprungen.
 
Wie ist das möglich? Es muss also eine Tendenz für die Blauen, wie diese offensichtlich schon in der mündlichen Verhandlung des Verfassungsgerichtshofes anhand der Fragestellungen, insbesondere des Richters Dr. Schnizer, der offenbar mit seiner verfehlten Bezugnahme auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahr 1927 (wie A. Noll nachweist) das am klarsten kommunizierte, vorgelegen haben.
 
Blaues Gedankengut ist mittlerweile sehr weit in akademische und auch in juristisch-professorale Kreise eingedrungen und sogar durchgedrungen:
 
Das Eindringen letztlich parteipolitischer Agitation war auch schon um die Begutachtungen zum Flüchtlingswesen (Obergrenzendebatte und Beschränkung der Mindestsicherung für Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention) zu verzeichnen. Man holt sich Universitätsprofessoren zur Erstattung von rechtlich fragwürdigen politisch gefälligen Gutachten.
 
Dass die politische Agitation gegen die Stichwahl der Bundespräsidentenwahl nun auch beim Verfassungsgerichtshof durchgedrungen ist, vermittelt den Tendenzen des Marsches der nationalistischen Kräfte durch die Institutionen eine neue Qualität. Man muss jetzt die Frage stellen: Wie blau ist der Verfassungsgerichtshof?
 
Es gibt keinen Zugang für Arme zum Verfassungsgerichtshof
 
Seit mittlerweile Jahrzehnten warten Sozialhilfebezieher und Arbeitslose auf eine Überprüfung des Sozialhilfe-und Arbeitslosenrechts auf seine Sachlichkeit und Überprüfung am Gleichheitsgrundsatz. In irgendeiner meiner mittlerweile schon Jahre zurückliegen Aussendungen habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass von mir vertretene Beschwerdeführer bzw. deren Rechtsauffassung vom deutschen Bundesverfassungsgericht inhaltlich richtig erkannt wurde, der österreichischen Verfassungsgerichtshof sich jedoch der sachlichen-inhaltlichen Überprüfung der Leistungen im früheren Sozialhilferecht und jetzigen Mindestsicherungsrecht wie auch im Arbeitslosenversicherungsrecht verweigert.
 
Der Verfassungsgerichtshof gibt den Blauen ein rechtliches Forum und ein Hochamt, das ihnen nicht zustand. Hingegen verweigert er Armutsbetroffenen in Österreich (mittlerweile über 1 Million Menschen) in wesentlichen rechtlichen Fragen jeglichen Zugang bzw. schmettert deren Beschwerden (wie bspw gegen das Wiener Mindestsicherungsrecht) in nicht-öffentlicher Sitzung ab.
 
Was lehrte uns George Orwell in „Animal Farm“? (https://de.wikipedia.org/wiki/Farm_der_Tiere )
 
Manche sind gleicher als gleich. Vor dem Verfassungsgerichtshof: Blaue und deren Beschwerdeführung sind eben gleicher als eine Beschwerde von Armutsbetroffenen oder auch Flüchtlingen.
 
Orwell‘s Werk wurde als Parabel gegen die Vorgänge in der Sowjetunion geschrieben. Es kann und müsste in der jetzigen Zeit ganz einfach umgeschrieben werden auf die nationalistischen Kräfte in ganz Europa und die außerhalb Österreichs als rechtsradikal eingestufte FPÖ. Das hätte sich Orwell 1945 wohl nicht gedacht.
 
Perspektiven für den Verfassungsgerichtshof:
 
Ich habe, wie Kollege Noll, seinerzeit auch die Auffassung vertreten, dass Richter des Verfassungsgerichtshofes eine sogenannte „dissenting opinion“ abgeben können sollten. Es wird dagegen immer wieder ins Treffen geführt, man müsse einzelne Richter vor Angriffen aus politischen Lagern schützen. Ich glaube, dass die „dissenting opinion“ eher ein Schutz für einzelne Richter ist, nicht auf einen Haufen mit anderen Richtern, die unvertretbare Rechtsauffassungen vertreten, geworfen zu werden und vorliegendenfalls in den Anruch zu kommen, parteipolitisch blau zu sein und blaue Interessen zu vertreten. So stellt sich die Frage und darf/muss man spekulieren: Wie blau ist der Verfassungsgerichtshof (schon)?
 
Einen Verfassungsrichter für die Zivilgesellschaft
 
Im Übrigen fordere ich seit mittlerweile Jahrzehnten, dass ein echter Menschenrechtler in den Verfassungsgerichtshof gehört (zwischenzeitig befand man es für wichtiger, einen Steuerrechtler hin einzuberufen, damit der Verfassungsgerichtshof an ihn herangetragene Steuerrechtsfragen besser bewältigen kann) und die Zivilgesellschaft zumindest einen Verfassungsrichter nominieren können soll.
 
Mit freundlichen (kollegialen) Grüßen
 
Rechtsanwalt
Dr. Herbert Pochieser eh.
Schottenfeldgasse 2-4
A-1070 Wien

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