Zehn Jahre Asylverfahren –
Happy-end für Familie T. !

Ein Bericht von Michael Genner, Asyl in Not

Der Unabhängige Bundesasylsenat hat in der öffentlichen Verhandlung am 18. Jänner 2002 unserem langjährigen Klienten, Herrn T. aus türkisch-Kurdistan, Asyl gewährt.

Asyl in Not

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Wien, 21. Jänner 2002

Zehn Jahre Asylverfahren –
Happy end für Familie T. !

Ein Bericht von Michael Genner, Asyl in Not


Herr T. ist Kurde aus der Türkei. Er war Landwirt und Bauarbeiter in der Provinz Tunceli, einer Gegend, wo die Kurden vom türkischen Militär seit jeher besonders unterdrückt wurden. Herr T. war kein Held, er ging nicht zu den Partisanen, nur zweimal zu Versammlungen einer linksgerichteten Organisation – oft genug, um den Behörden aufzufallen. 1991 übersiedelte er nach Österreich und erhielt ein Visum, ein Bekannter hatte ihn eingeladen. Inzwischen wurde er daheim von den türkischen Militärs gesucht.

Ende 1992 flüchtete seine Frau mit vier Kindern nach Österreich. Sie war seinetwegen einige Male verhört, zuletzt bewusstlos geschlagen worden. Um die Flucht zu finanzieren, hatte sie das Vieh verkauft; nur die älteste Tochter blieb zunächst in der Türkei zurück.

Ich stellte für Frau T. einen Asylantrag; der wurde vom Bundesasylamt mit der Begründung abgewiesen, sie sei durch Ungarn gekommen und dort vor Verfolgung sicher gewesen. In der Berufung machte ich geltend, daß Ungarn Kurden zurückschiebt und damals auch die Genfer Flüchtlingskonvention nur mit Vorbehalt unterschrieben hatte (nicht für Flüchtlinge aus der Dritten Welt!).

Meine Berufung wies das Innenministerium mit der Begründung ab, die türkische Polizei hätte sie “nicht aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verhört und misshandelt”, sondern nur, “um von ihr den Aufenthaltsort ihres Gatten und anderer Dorfbewohner zu erfahren”, zu denen sie “soziale Kontakte” unterhielt, weswegen man bei ihr ein “Sonderwissen” vermutete.

Den Bescheid (der auch öfters in den Medien zitiert wurde) hatte Dr. Romanoski von der “Fachabteilung” des Innenministeriums auf dem Gewissen.

Herrn T.”s Visum lief 1993 ab. Den Verlängerungsantrag stellte er zu spät. Damals trat gerade Herrn Löschnaks berüchtigtes Aufenthaltsgesetz in Kraft: Man musste den Antrag jetzt vier Wochen vor Ablauf des Visums stellen; viele tausende Gastarbeiter versäumten, wie Herr T., diese Frist und verloren von einem Tag auf den anderen ihr Aufenthaltsrecht.

Auch für Herrn T. stellte ich daher einen Asylantrag; auch dieser wurde in zwei Instanzen abgewiesen – vom Innenministerium unter anderem mit der Begründung, Herr T. werde als “Sympathisant einer politischen und dem bewaffneten Kampf verschriebenen Gruppierung” verfolgt. Dies sei jedoch “keine politische, sondern eine legitime strafrechtliche Verfolgung”, wie sie “auch in westlich-demokratischen Gesellschaften notwendig” sei.

Dieser Bescheid stammte von Mag. Benda, der mittlerweile beim Unabhängigen Bundesasylsenat Unterschlupf gefunden hat.

Beide Verfahren brachte Rechtsanwalt Dr. Herbert Pochieser vor den Verwaltungsgerichtshof, der die angefochtenen Bescheide nach zwei Jahren behob, woraufhin das Innenministerium im Mai 1996 abermals einen – auf angebliche Widersprüche in den Angaben der beiden Ehegatten gestützten – abweisenden Bescheid erließ, gegen den Dr. Pochieser abermals Beschwerde an das Höchstgericht erhob.

In all den Jahren lebte Familie T. unter schlimmen hygienischen Verhältnissen, ohne Arbeit, ohne Versicherung im Ernst Kirchweger-Haus. Die größeren Kinder gingen in die Schule; die Lehrerinnen setzten sich sehr für die Familie ein, bescheinigten schriftlich ihre gute Integration und sammelten Kleider und Geld. Frau T., die über Schmerzen im Rücken klagte, schickte ich zu einer Ärztin, die Tuberkulose diagnostizierte.

Parallel zum Asylverfahren stellte ich – rechtlich aussichtslose – Anträge auf Aufenthaltsbewilligungen bei der MA 62, die natürlich abgewiesen wurden und ebenfalls zu den Höchstgerichten wanderten. So überbrückten wir die Zeit, wie in vielen anderen Fällen auch.

1995 wurde Herr T. in Schubhaft genommen und kam nach einer von Dr. Pochieser eingebrachten Beschwerde wieder frei. Schließlich erreichten wir die Aufnahme der Familie ins Integrationshaus, wo sie endlich auch angemessene psychologische Betreuung und regelmäßige ärztliche Hilfe erhielten. An der ständigen Ungewissheit über die Zukunft änderte sich dadurch aber nichts.

So wie zu den T.”s sagte ich damals zu fast allen meinen Klienten. “Ich kann nichts für Euch tun – außer Zeit gewinnen. Ein Rechtsmittel nach dem anderen – bis eines Tages der Löschnak fällt. Und ein anderer Minister kommt, der die Menschenrechte achtet, die Gesetze ändert und die Beamtenschaft reformiert.”

Die Minister kamen und gingen, die Verfahren der Familie T. liefen weiter. Auch die älteste Tochter flüchtete nach Wien. Das Dorf war vom türkischen Militär vermint worden, viele Häuser (auch das der Familie T.) waren zerstört, fast alle Kurden aus der Gegend vertrieben. Auch diesen Asylantrag wiesen die Behörden ab, diesmal mit der Begründung, die junge Frau T. hätte eben nach Istanbul übersiedeln sollen.

Immerhin wurde durch die – noch von Caspar Einem eingeleitete – Asylrechtsreform der Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) als neue Berufungsinstanz eingerichtet, wo es wenigstens die Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren gibt. Dorthin begleitete ich Herrn T. erstmals 1999 zu einer öffentlichen Verhandlung.

UBAS-Mitglied Dr. Balthasar hielt uns vor, die Verfolgungsgefahr wegen der beiden Versammlungen im Jahre 1991, an denen Herr T. teilgenommen hatte, sei nicht mehr aktuell. Dagegen machte ich Gruppenverfolgung der gesamten kurdischen Bevölkerung geltend.

Es war kurz nach Öcalans Verhaftung; in den kurdischen Provinzen führte das türkische Militär ethnische Säuberungen durch. Herrn T.”s Dorf war mittlerweile fast menschenleer. Dr. Balthasar vertagte, um unsere Angaben von einem Vertrauensanwalt der österreichischen Botschaft überprüfen zu lassen.

Das hat zwei Jahre gedauert. Inzwischen fand Herr T. mit Hilfe des Integrationshauses Arbeit, erhielt eine Beschäftigungsbewilligung und beantragte die österreichische Staatsbürgerschaft.

Im Oktober 2001 waren wir wieder beim UBAS und erfuhren, daß die Angaben Herrn T.”s über die Lage in seiner Herkunftsregion für richtig befunden worden, für die Asylgewährung aber nicht ausreichend seien.

Herr T. hatte aber in den vergangenen Jahren in der Gemeinschaft der in Wien ansässigen Kurden Fuß gefasst und sich im Rahmen seiner Möglichkeiten politisch engagiert. Er hatte an Demonstrationen und Versammlungen als Ordner teilgenommen, hatte Flugblätter verteilt und sich bei Diskussionen zu Wort gemeldet; das alles viele Jahre lang, sodaß es den Spitzeln der türkischen Botschaft nicht verborgen geblieben sein konnte.

Das bestätigte ein zur dritten UBAS-Verhandlung am 18. Jänner 2002 als Zeuge geladener Funktionär eines kurdischen Exilvereins.

Auch der Sachverständige, den der UBAS bestellte, führte in seinem Gutachten aus, Herr T. habe zwar nur untergeordnete Tätigkeiten ausgeführt, diese würden aber von den türkischen Behörden als Unterstützung einer separatistischen Organisation gewertet. Herrn T. drohe daher im Falle seiner Heimkehr Verhaftung und Folter durch die Antiterror-Einheit der türkischen Polizei. Dr. Balthasar verkündete daraufhin den positiven Bescheid.

Das Herrn T. gewährte Asyl wird nun auf seine Frau und die noch minderjährigen Kinder zu erstrecken sein. Zwei Töchter sind inzwischen erwachsen, sodaß keine Erstreckung möglich ist; für sie werden wir eine andere Lösung finden. Vermutlich wird das Verfahren zur Gewährung der Staatsbürgerschaft jetzt auch bald positiv erledigt sein.

So ist eine scheinbar unendliche Geschichte zum guten Ende gelangt. Freilich – mit bitterem Beigeschmack.

Denn natürlich hätte Familie T. schon 1992 – und zwar “prima facie”, ohne weiteres Verfahren – Asyl erhalten müssen.

Denn natürlich sind die Kurden in der Türkei seit vielen Jahren schwerster Unterdrückung ausgesetzt. Und natürlich ist diese Unterdrückung nicht weniger intensiv als es die der Menschen in den Oststaaten war, die doch alle Asyl erhielten, damals, als Österreich noch ein Asylland war.

Familie T. war ein Opfer der systematischen Zerstörung des Asylrechts in der Löschnak-Matzka-Zeit. Sie hat Anspruch auf Wiedergutmachung durch den Staat Österreich. So wie viele andere Menschen, deren Existenz durch rassistische Gesetze und eine fremdenfeindliche Beamtenschaft vernichtet worden ist.

Viele Rechnungen sind offen. Wir geben nicht auf. Österreich muß wieder Asylland werden. Die Menschenrechte müssen wieder gelten in diesem Land.

Michael Genner, Asyl in Not

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