Der deutsche Innenminister Otto Schily hat einen Entwurf zur Verschärfung des Asyl- und Fremdenrechts vorgelegt. Für Deutschland zunächst; aber wer die Spielregeln der europäischen “Harmonisierung” kennt, der weiß, wie schnell derartige Wünsche zum geltenden EU-Recht mutieren.

Anerkannte Flüchtlinge waren bisher zum dauernden Aufenthalt berechtigt. Nur wenn sich die Lage im Heimatland geändert hatte, konnten die Behörden – konkret zu begründende – Aberkennungsverfahren einleiten. Das soll anders werden:

Nach Schilys Willen soll künftig jeder einzelne anerkannte Flüchtling nach drei Jahren, auch wenn sich nicht das geringste geändert hat am Regime in seinem Heimatland, automatisch noch einmal überprüft werden. Ist es klar, was das heißt?

Drei Jahre Ungewissheit, drei Jahre Sorge. Und dann – noch einmal zum Verhör, noch einmal das Zittern, die Übelkeit vor dem Eingang zum Beamten, dessen Urteil über Leben und Tod entscheiden kann; noch einmal die Angst, alles zu verlieren, noch einmal entwurzelt zu werden, noch einmal vertrieben…

Natürlich öffnen derartige Verfahren der Behördenwillkür Tür und Tor. Natürlich werden die Rechtsanwälte, werden die NGOs derart zustande gekommene Aberkennungsbescheide nicht hinnehmen, sondern Rechtsmittel ergreifen, durch alle Instanzen, sodaß die schon bisher mit Asylverfahren ausgelasteten Gerichte noch beschäftigter sein werden als bisher.

Sodaß daher auch die Normalverfahren, die schon bisher lange genug dauerten, ganz im Gegensatz zu Herrn Schilys Ankündigung nicht verkürzt, sondern verlängert werden durch sein neues Gesetz, das im Gegensatz zu allen Schönredereien einem einzigen Zweck dient: der Abschreckung. Es soll sich herumsprechen in den Ländern der Dritten Welt, dass Deutschland kein Asylland mehr ist.

Auch die “Duldung” wird abgeschafft. Der Rettungsanker, bisher, für abgewiesene Asylwerber, denen die Rückkehr in die Heimat nicht möglich oder nicht zumutbar war. Die “Duldung”, wie der Name schon sagt, ein Gnadeninstrument, um die Härten des Rechts zu mildern. Herr Schily kennt keine Gnade mehr.

Aber er hat nichts dagegen, wenn die Kirchen gnädig sind. Oder andere, nicht näher bestimmte “international tätige Organisationen”. Die dürfen – wenn sie die Kosten tragen ! – eine Anzahl Flüchtlinge behalten, die der deutsche Staat abgeschrieben hat. Gebt Gott, was Gottes ist; er wird die Seinen erkennen.

Und wenn die Kirchen nicht mehr zahlen? Wenn auch sie die Mühseligen und Beladenen vor die Türe setzen, wie wir es in Wien oft genug erleben mussten von der Caritas? Herr Schily wäscht seine Hände in Unschuld. Er hat es doch gut gemeint.

“Ein Wechsel vom Asylverfahren in die Zuwanderung aus Erwerbsgründen wird ausgeschlossen”. Das heißt: ein abgewiesener Flüchtling, der während des langen Verfahrens Arbeit gefunden hat, auf eigenen Füßen steht, der sich aus eigener Kraft – wie heißt das? – “integriert” hat… Der hat trotzdem keine Chance. Er ist kein echter Zuwanderer. Er erhält kein Aufenthaltsrecht. Er muß weg.

“Ausreisepflicht”. Sie soll “durchgesetzt werden”. Durch “zielgerichtetes und effizientes Vorgehen”. Mit deutscher Gründlichkeit. Wie bei jenem “Schübling”, der von drei deutschen Beamten im Flugzeug erdrückt worden ist, im Mai 1999, bald nachdem Marcus Omofuma von drei österreichischen Beamten erstickt worden war.

Willkommen in Deutschland ist nur, wer der deutschen Wirtschaft etwas bringt. Je höher die Qualifikation, desto sicherer der Aufenthalt. Desto umfassender der Familiennachzug: Kinder bis zum 18. Lebensjahr! Wer arm ist, kein Computerfachmann, keine Führungskraft, wer nur Knochenarbeit leistet, um seine Familie zu ernähren, der darf seine Kinder nicht nachholen, wenn sie älter als 12 Jahre sind!

Und so weiter. Herrn Schilys Entwurf erinnert an die schlimmsten Tage der Löschnak-Matzka-Zeit. Wie Schily selbst an Matzka erinnert, als einstiger Linker, herabgesunken zum Vollzugsjuristen der Festung Europa gegen die “fremde Gefahr”.

Asyl-, Fremden- und Aufenthaltsgesetz der Neunzigerjahre waren Fallgruben für zehntausende Menschen, die nach Österreich kamen, weil sie Schutz vor Verfolgung suchten, und für unzählige fleißige Arbeiter, deren Existenz von einem Tag auf den anderen zerstört wurde. Dagegen haben wir NGOs jahraus, jahrein gekämpft. Es ist besser geworden seither, aber noch lange nicht gut genug.

Wir arbeiten noch immer daran, Schutt der Löschnak-Zeit wegzuräumen. Wir kämpfen zum Beispiel darum, Illegalisierte über den Arbeitsmarkt zu legalisieren. Selten genug gelingt das sogar. Jetzt kommt aus Deutschland dieser Schlag. Diese neue Gefahr für die Menschenrechte, in Deutschland, in Europa, auch bei uns.

Wir wundern uns, warum wir nichts von den deutschen Grünen hören. Sie sind doch mit Herrn Schilys Partei in einer Koalition? Sind sie nur noch Anhängsel, Mitläufer einer fremdenfeindlichen Politik? Warum fordern sie nicht Schilys Rücktritt, wie wir Löschnaks Sturz gefordert und durchgesetzt haben?

Ein ernstes Wort an unsere grünen Freunde in Österreich: So eine Koalition darf es hier nicht geben, in der Ihr Euch selbst degradiert zu Steigbügelhaltern einer fremdenfeindlichen Politik. Wir warnen beizeiten davor, auch wenn es noch nicht auf der Tagesordnung steht.

Damit eine künftige Reformregierung in Österreich die deutschen Fehler nicht wiederholt, muß sie getragen sein von einer breiten Bewegung von NGOs. Müssen die NGOs stark genug sein, um den Ton anzugeben. Wir arbeiten daran.

Michael Genner ist seit 1989 als Rechtsberater für Flüchtlinge tätig.
Er ist Geschäftsführer von Asyl in Not,
Vorstandsmitglied von SOS-Mitmensch und der Asylkoordination Österreich.

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