Für eine Änderung des Artikels 7 der Bundesverfassung

Österreich ist eine Demokratie. Die Menschenrechte sind in der Verfassung verankert. Die Gesetze werden demokratisch beschlossen und gelten für alle. Oder wie?

Österreich ist keine Demokratie. Die Menschenrechte werden täglich gebrochen. Flüchtlinge verschwinden in der Schubhaft. Menschen werden verhöhnt, geschlagen, eingekerkert, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Über fleißige, tüchtige Menschen, die nichts anderes wollen als durch redliche Arbeit ihr Brot verdienen, verhängt die Fremdenpolizei das Aufenthaltsverbot.

Die Regierung dieses Landes ist illegitim. Sie ist es aus zwei Gründen. Erstens, weil ihr eine Partei angehört, über deren Wesen und Natur schon genug gesagt und geschrieben wurde.

Und zweitens – aber das galt schon für viele Regierungen vor ihr – weil sie nicht aus allgemeinen, freien und gleichen Wahlen hervorgegangen ist. Weil ein großer Teil der Menschen in diesem Land vom Wahlrecht ausgeschlossen wird.

Österreich ist ein Land, in dem die demokratischen Grundrechte nur für einen Teil der Bevölkerung gelten. Für diejenigen, die man “Staatsbürger” nennt.

In der Schule lernten wir von der griechischen Demokratie, der Wiege der europäischen Zivilisation. Auch damals galten die demokratischen Rechte nur für einen Teil der Bevölkerung. Es war eine Demokratie für die griechischen Bürger. Für die Sklavenhalter und die Nutznießer der Sklaverei.

Artikel 7 der österreichischen Bundesverfassung lautet:

“Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich.”

Alle Staatsbürger. 1999 zählte die “ausländische Wohnbevölkerung” 756.500 Menschen. Das sind 9,3 Prozent der Gesamtbevölkerung, die weniger gleich als die anderen sind.

Ziehen wir die rund 100.000 (bessergestellten) EU-Bürger ab, dann bleiben noch immer mehr als sechshundertfünfzigtausend Menschen ohne Recht. Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus der Türkei, aus anderen Ländern Osteuropas und aus der Dritten Welt. Menschen zweiter Klasse. Oder – “Rasse”?

Artikel 7 der österreichischen Bundesverfassung ist eine Verhöhnung der Demokratie. Er steht in Widerspruch zum Artikel 7 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der unmissverständlich sagt:

“Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede unterschiedliche Behandlung, welche die vorliegende Erklärung verletzen würde, und gegen jede Aufreizung zu einer derartigen unterschiedlichen Behandlung.”

Artikel 7 der österreichischen Bundesverfassung verstößt auch gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dessen Artikel 26 lautet:

“Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz.”

In Widerspruch zu den Menschenrechten steht auch das Ausländerbeschäftigungsgesetz, das die arbeitenden Menschen in zwei Klassen, In- und Ausländer, teilt.

Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lautet:

“Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit.”

Österreich setzte sich durch die Einführung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hinweg und führte einen Zustand der Rechtlosigkeit ein, der schwerwiegende Folgen für hunderttausende Menschen nach sich zog.

Zahllose Menschen wurden durch dieses Gesetz, das ihnen legale Arbeitsmöglichkeiten verwehrte, gezwungen, schwarz zu arbeiten, um ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien zu verdienen. Es entstand eine staatliche erzeugte und gewollte Illegalität.

Artikel 7 der österreichischen Verfassung beruht auf einer seltsamen Fiktion: Es gäbe ein “Staatsvolk”, das sich von anderen Menschen in diesem Land durch besondere Merkmale, besondere Vorzüge unterscheidet. Vor allem durch einen Vorzug: den österreichischen Reisepaß. Den Paß, der – das wusste schon Bert Brecht – der edelste Teil eines Menschen ist…

Ja, und was denn eigentlich noch? Was für andere Merkmale zeichnen den “echten Österreicher” aus? Vielleicht seine, wie heißt das doch neuerdings? Seine “Leitkultur”? Deren wichtigste Teile die Kronenzeitung und der Musikantenstadel sind?

Die Fiktion eines Staatsvolkes ist längst überholt. Die Fortschritte der Mobilität, der modernen Kommunikation sind im Begriff, eine neue Wirklichkeit zu schaffen. Das alte Verfassungskorsett wird für die Entwicklung der Produktivkräfte zum Hindernis. Die tragikomische Debatte um den Zuzug von Computerspezialisten ist nur ein Symptom für die Selbstbehinderung des Systems.

Kein Experte, der auf sich hält, wird bereit sein, in ein Land zu gehen, wo er nicht willkommen ist, wohin er seine Familie nicht mitnehmen, geschweige denn am politischen Leben teilnehmen darf. Selbst nach immanent-kapitalistischen Kriterien sind die geltenden Gesetze störend und widersinnig geworden.

An den Rändern der Gesellschaft bilden sich zwei Pole: Hier die Daheimgebliebenen, Zurück-Gebliebenen, Zukurzgekommenen, “bleib-im-Land-und-nähr-dich-redlich” – nur ja keine Abenteuer, mei “Ruah will i haben! Meine Stelze und mein Krügel Bier.”

Dort die Flexiblen, Mobilen, die neue Ideen und Kenntnisse bringen; Menschen, die gelernt haben, Hindernisse zu überwinden, sich durchzuschlagen von einem Kontinent zum anderen, auch illegal zu überleben. Sind sie nicht die Tüchtigeren, nach den eigenen Kriterien des Systems? Wird ihnen nicht die Zukunft gehören?

Sechshundertfünfzigtausend Menschen in diesem Land, dessen Reichtum sie mitgeschaffen haben, sind nahezu aller politischen und sozialen Rechte beraubt. Vor allem fehlt ihnen das zentrale Grundrecht, ohne das keine Demokratie denkbar ist: das Wahlrecht.

Sie sind Gesetzen unterworfen, die ein Parlament beschließt, das sie nicht wählen dürfen, dessen Abgeordnete auf ihre Stimmen nicht angewiesen sind; für sie gelten Gesetze, die sie unmittelbar betreffen, die massiv eingreifen in ihr persönliches Leben: Asylgesetz, Fremdengesetz, Ausländerbeschäftigungsgesetz…

Gesetze, die beschlossen wurden, ohne sie zu fragen, über ihre Köpfe hinweg. Gesetze, unter denen sie leiden – rassistische Gesetze, die in den vergangenen Jahren die Existenz zehntausender Menschen zerstörten: Menschen verloren ihr Aufenthaltsrecht, weil sie Fristen versäumten, oder weil ihre Wohnung zu wenig Quadratmeter hatte, oder weil sie arbeitslos und mittellos waren…


 “Österreich – für alle gleich !”

 Das ist das Motto der Kampagne, die in diesem Frühjahr 2001 begonnen hat. Asyl in Not, SOS-Mitmensch, Die Bunten, ANAR-Wien, das Migrantenforum, die Botschaft der besorgten Bürger, die Gewerkschaftsfraktionen AUGE und BDFA, aber auch soziale Netzwerke und Arbeitsloseninitiativen verbünden sich zur gemeinsamen Aktion.

Wir fordern eine Verfassungsreform. Artikel 7 der Bundesverfassung soll lauten:

“Alle Menschen, die in Österreich leben, sind vor dem Gesetz gleich.”

Wir fordern daher das allgemeine freie und gleiche Wahlrecht für alle Menschen in diesem Lande. Allgemein, das heißt: aktiv und passiv, von Bezirken und Gemeinden über Kammern und Betriebe bis zum Bundespräsidenten und zum Parlament.

Natürlich bedeutet Gleichheit auch, daß die Menschen, die in Österreich leben, auch hier arbeiten dürfen. Also: Abschaffung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes.

Gleichheit bedeutet auch gleichen Zugang zu den Sozialleistungen. Und natürlich auch gleichen Zugang zu Gemeindewohnungen.

Um die Gleichheit zu verteidigen, brauchen wir auch ein Antidiskriminierungsgesetz, das diesen Namen verdient, verbunden mit einem Paket begleitender Maßnahmen. Das heißt insbesondere: mit politischen und strafrechtlichen Konsequenzen.

Andere Zugänge, ebenfalls von Ungleichheit betroffen, schließen sich der Bewegung an: Frauengruppen, Sozialinitiativen, die Steuerinitiative im ÖGB… Sie bringen ihre Forderungen ein: Frauenrechte, soziale Grundsicherung, Steuergerechtigkeit…

Wir legen uns die Latte hoch: Wir wollen eine Reform der Verfassung, einen grundlegenden Neubeginn. Es muß anders werden in diesem Land.


Michael Genner ist Geschäftsführer von Asyl in Not,
Vorstandsmitglied von SOS-Mitmensch
und der Asylkoordination Österreich.

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