(Zweiter Teil)

Ayub und Salman waren nach drei langen Dublin-Prozeduren nun endlich zum inhaltlichen Asylverfahren zugelassen und wurden in der Außenstelle Wien des Bundesasylamtes zu ihren Fluchtgründen befragt. Es zeigte sich aber sogleich, daß der zuständige Beamte entschlossen war, ihnen nicht zu glauben. Revanche für die verlorenen Dublin-Verfahren?

Ayub, der an einer chronischen Magenentzündung leidet, hatte (wie niederschriftlich festgehalten) am Morgen der Einvernahme Krämpfe bekommen und erbrochen, war aber trotzdem erschienen.

Der Asylbeamte bemühte sich zwar (das räume ich gerne ein), seinen Gesundheitszustand schonend zu berücksichtigen, hielt ihm aber danach im Bescheid vor, er habe keinen „frei produzierten Detailreichtum“ geliefert, sondern seine Fluchtgründe „äußerst vage, unkonkret und oberflächlich“ vorgebracht, während er bei mehreren psychologischen Untersuchungen ausführlicher darüber sprechen konnte.

Ayub ging es aber bei dieser Einvernahme für längere Ausführungen nicht gut genug. Außerdem hatte bei den psychologischen Untersuchungen denn doch eine vertrauensvollere Atmosphäre geherrscht; überdies hatte dort sein Bruder auf tschetschenisch gedolmetscht. Die Befragung im Asylamt hingegen war auf russisch, obwohl Ayub (wie die Dolmetscherin bestätigte) nur gebrochen russisch kann.

 Ayub berichtete trotzdem, so gut es ging, über seine Teilnahme am zweiten Tschetschenienkrieg. Er war bei einem russischen Raketenangriff im Jahre 2000 schwer verwundet worden und litt seither unter einer schweren psychischen Störung.

Seither war er nicht mehr kampftauglich, blieb in den folgenden Jahren zu Hause, wurde von seinem Bruder betreut – bis er 2007 auf der Straße alte Kameraden wieder sah: in Kadyrov-Uniform! Sie hatten die Seite gewechselt. Sie erkannten einander. Für Ayub konnte das sein Todesurteil sein.

Sie suchten ihn zu Hause auf, er entkam über den Balkon, sie nahmen seinen Bruder Salman mit und folterten ihn zwei Tage. Danach flüchteten sie beide, wie erwähnt, auf Umwegen nach Österreich.

Der Beamte im Bundesasylamt wollte wissen, ob Ayub wisse, wie man eine Kalaschnikov zerlegt. Zum Beweis, ob er wirklich ein Kämpfer war…

Ayub versuchte, seine frühere Waffe (ein rumänisches Modell) russisch radebrechend zu beschreiben. Die Dolmetscherin verstand weder ihn noch die waffentechnischen Begriffe. Sie redeten völlig aneinander vorbei. Für das Bundesasylamt ein Beweis seiner „Unkenntnis der von Ihnen als behauptet verwendeten Waffe“(!). Obwohl im ganzen Verfahren nicht hervorkam, woher eigentlich der Beamte so genau wissen sollte, wie man eine Kalaschnikov zerlegt…

Also negativ! Salman hingegen erhielt Asyl, weil er inzwischen eine asylberechtigte Tschetschenin geheiratet und mit ihr ein asylberechtigtes Kind hatte. Und weil sein Asylantrag so lange zurücklag, daß die Erstreckung vom Kind auf den Vater (von Fekter mittlerweile abgeschafft) auf ihn noch anwendbar war.

Der Beamte schrieb trotzdem im Bescheid über zwanzig Seiten lang, was an Salmans Angaben über seine Folterung angeblich unglaubwürdig war – um zuletzt zornentbrannt festzustellen, daß er ihm (wegen des Kindes) nun doch Asyl geben müsse! So viel Arbeit hatte er sich angetan, für nichts…

Im Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof legte ich Abbildungen verschiedenster Kalaschnikov-Modelle vor, die ich im Internet gefunden hatte und von denen das rumänische Modell so aussah, wie es von Ayub beschrieben worden war.

Einen Augenblick hatte ich daran gedacht, mir auf dem Schwarzmarkt eine Kalaschnikov zu kaufen, sie heimlich in den Asylgerichtshof zu schmuggeln und von meinem Mandanten während der Verhandlung zusammen- und wieder auseinanderschrauben zu lassen. Aber da ich keinen Schwarzhändler kenne, war mir das dann doch zu kompliziert. Verboten ist es ja, glaube ich, auch… Also hab ich es gelassen.

Aber als einer, der sich stets vor dem Militärdienst gedrückt hatte, war ich nach meinen Internetrecherchen stolz darauf, jetzt mindestens so viel von Waffen zu verstehen wie der Asylbeamte – nämlich eh auch nix. 

Die in unserem Fall zuständigen Asylrichter Dr. Kuzminski und Dr. Chvosta wollten sich aber nicht in diese Materie vertiefen; ihnen genügte es, daß Ayub die Kämpfe, an denen er teilgenommen hatte, offenkundig glaubhaft (und erstmals auch mit vielen Details) beschrieb.


Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.2.2011, Zahl D3 315782-4/2010/5E, erhielt Ayub Asyl. Wir wünschen ihm und seinem Bruder viel Glück.

Aus dem lesenswerten Erkenntnis des Asylgerichtshofes:

„Es mag zutreffend sein, daß das Vorbringen des BF (= Beschwerdeführer) ursprünglich sehr kurz und vage war, aber man muß dabei aus der Sicht des erkennenden Senates doch einige Dinge berücksichtigen:

Es ist bereits in der Vergangenheit zu beobachten gewesen, daß tschetschenische Asylwerber gerade am Beginn des Asylverfahrens – auch aufgrund ihrer negativen Erfahrungen mit Behörden im Heimatlandnoch nicht entsprechend Vertrauen zu österreichischen Behörden gefaßt haben und fürchten, daß Angaben, die sie tätigen, an die russischen Behörden weitergegeben werden könnten (vor allem im Falle einer Ablehnung). Darüber hinaus ist zu bedenken, daß nicht immer davon ausgegangen werden kann, daß Männer mit Frauen über ihre Kampferfahrungen und Kriegserlebnisse sprechen.

„Daß tschetschenische Asylwerber, die tatsächlich im Widerstand engagiert waren und Verfolgung erlebt haben, darüber nicht von vornherein in besonders ausführlicher und detailreicher Weise sprechen, kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden, wie beispielsweise die soziokulturelle Prägung, eine psychische Beeinträchtigung oder die bereits erwähnten negativen Erfahrungen mit staatlichen Behörden, wobei auch individuelle sprachliche Ausdrucksfähigkeiten nicht unberücksichtigt gelassen werden dürfen.

„Daher erscheint in Anbetracht dessen bei tschetschenischen Asylwerbern bei einer Beweiswürdigung nach dem schematischen Maßstab eines ‚gesteigerten Vorbringens‘ große Vorsicht geboten. In derartigen Fällen kommt der amtswegigen Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit besondere Bedeutung zu.“

„Der Beschwerdeführer wirkte persönlich glaubwürdig und hat der erkennende Senat von ihm den Eindruck gewonnen, daß er jemand ist, der durchaus praktische Dinge erledigen kann, aber große Probleme hat, solche Dinge zu beschreiben.“

Damit wird für tschetschenische Flüchtlinge das berüchtigte „Neuerungsverbot“ zumindest abgeschwächt, wenn auch noch nicht außer Kraft gesetzt.

Diese wichtige Grundsatzentscheidung ist erstens das Verdienst der beiden erkennenden Richter, zweitens aber auch ein Erfolg der parteiischen Rechtsvertretung, die Asyl in Not Schutzsuchenden gewährt.

Unsere Kräfte sind aber begrenzt, wir können nicht überall sein. Parteiische Rechtsberatung und Vertretung ist aber ein Grundrecht, das allen Asylsuchenden zusteht und nach den Richtlinien der EU von der öffentlichen Hand gefördert werden muß.

Auch dafür – und nicht nur gegen die aktuellen Fektereien – demonstrieren wir am 27. April 2011. Wir versammeln uns um 18 Uhr am Christian Broda Platz beim Westbahnhof und marschieren von dort zum Parlament, wo das Fekter-Unrechtspaket beschlossen werden soll.

Liebe Leserinnen und Leser, marschieren Sie mit!

Michael Genner

Obmann von Asyl in Not

www.asyl-in-not.org

Spendenkonto:

Raiffeisen (BLZ 32000),

Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not

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