Skandalöser Dublin-Bescheid

Ibrahim ist aus Syrien geflüchtet; sein Leben war dort in Gefahr. Er hat eine Odyssee hinter sich, zusammen mit fast zwanzig Fluchtgefährten: Mit dem Boot an einer griechischen Insel gestrandet; dann zu Land über Ungarn nach Österreich. In Ungarn wurden sie sofort festgenommen. Zwei Tage verbrachten sie im Gefängnis, 18 Stunden davon so:


 
„Wir waren in Käfigen untergebracht und wurden unmenschlich behandelt. Wir durften nicht auf die Toilette gehen und bekamen in dieser Zeit weder etwas zum Essen noch zum Trinken. Danach kam ein Dolmetscher und fragte uns, ob wir um internationalen Schutz in Ungarn ansuchen möchten, und als wir das verneinten, sagte der Dolmetscher, daß wir dann in diesem Zustand eine Woche lang ausharren müssen. Als wir dann gesehen haben, daß einige Leute geschlagen wurden, haben wir uns bereit erklärt, um Asyl anzusuchen.“

Daraufhin aus der Haft entlassen, flüchteten sie nach Österreich weiter. Soweit Ibrahims Angaben in Traiskirchen, der berüchtigten „Erstaufnahmestelle Ost“ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Darauf der Beamte, verständnislos: „Was meinen Sie damit, daß Sie unmenschlich behandelt wurden?“
 
Ibrahim, präzisierend: „Daß wir 20 Personen verschiedener Nationen in einem Käfig von 3 mal 3 Metern gefangen gehalten wurden. Ich habe Essen verlangt und da wurde ich von den Beamten angeschrien und weggeschickt. Ich verlangte, daß ich auf eine Toilette gehen darf, das wurde mir auch nicht erlaubt.“
 
Weiters gab Ibrahim an, daß gegen einen Mitgefangenen Pfefferspray eingesetzt wurde und er auch selbst etwas davon abbekam, sodaß seine Augen tränten und 3 Stunden lang weh taten.
 
Das BFA (Referent: Amtsdirektor Kardos) wies Ibrahims Asylantrag zurück: Nach der Dublin-III-Verordnung ist Ungarn zuständig! Was Ibrahim über seine Erlebnisse zu Protokoll gab, sei „nicht geeignet, die Integrität Ungarns in Zweifel zu ziehen“. Sollte es zu diesen Mißhandlungen „tatsächlich gekommen sein“, dann wäre es nur „ein Fehlverhalten von Einzelpersonen, das dem Staat nicht zuzurechnen ist.“
 
Gegen diesen Skandalbescheid habe ich Beschwerde erhoben und einige deutsche und österreichische Entscheidungen zitiert:
 
Der Verfassungsgerichtshof hat im Juni 2014 ein Erkenntnis des vormaligen Asylgerichtshofes aufgehoben, weil diesem entgangen war, daß in Ungarn seit 1. Juli 2013 ein massiv verschärftes Asylgesetz gilt: „Dublin-Rückkehrer“ werden seither im Regelfall sofort verhaftet und bleiben bis zu sechs Monate hinter Gittern.
 
Auch der Beschwerdeführer des damaligen Verfahrens (ein Flüchtling aus Ruanda) hatte angegeben, in Ungarn kein Essen erhalten zu haben; seine Unterkunft sei sehr schmutzig gewesen und er habe nicht einmal auf die Toilette gehen können. Dergleichen scheint also in Ungarn üblich zu sein.
 
Daher haben auch die deutschen Verwaltungsgerichte Berlin und München in Beschlüssen vom Jänner und Februar 2015 Abschiebungen nach Ungarn gestoppt, weil in Ungarn „systemische Mängel“ herrschen und Ungarn permanent gegen das in Art. 6 der EU-Grundrechtecharta kodifizierte Recht auf Freiheit verstößt.
 
Diese Judikatur ist dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl offenbar verborgen geblieben.
 
Ibrahim lebt seit November in Vorarlberg. Er verfügt dort, trotz der kurzen Zeit, schon über ein soziales Umfeld, das an seiner Seite steht. Die „Vorarlberger Nachrichten“ haben über seinen Fall berichtet: http://www.vorarlbergernachrichten.at/lokal/vorarlberg/2015/03/12/wie-verbrecher-behandelt.vn. Wir danken unserer Vorarlberger Schwesterorganisation „VINDEX – Schutz und Asyl“, die die Sache an uns herangetragen hat: http://www.vindex.or.at/ueber-die-grausamkeit/
 
Der Ball liegt jetzt beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG), das binnen einer Woche nach Einlangen der Beschwerde entscheiden muß, ob es die aufschiebende Wirkung zuerkennt. Wenn nicht, ist Ibrahim binnen einer Woche in ständiger Abschiebegefahr. Dann wird ziviler Ungehorsam auf der Tagesordnung stehen.
 
Michael Genner
Obmann von Asyl in Not
16. März 2015
 
Online spenden:
http://www.asyl-in-not.org/php/spenden.php

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