Nach fast sieben Jahren! Bleiberecht für Malika und Rahman

Rahman, Malika (Namen geändert) und ihre Kinder gehörten zur ersten großen Gruppe tschetschenischer Flüchtlinge, die sich nach der Einführung des „Zulassungsverfahrens“ (2004) an Asyl in Not wandten. Dank unserem Einschreiten und ärztlichen Befunden (Rahman waren die Zähne eingeschlagen, Malika war vergewaltigt worden; beide waren schwer traumatisiert), erreichten wir ihre Zulassung zum inhaltlichen Verfahren.

Der Akt lag dann im Bundesasylamt, Außenstelle Linz. Und zwar ziemlich lange. Zuständige Referentin: Mag. Marlene Jungwirth. Einvernahme: Jänner 2005; dann – lange nichts. Im Februar 2007 (!) schickte uns das Amt ein psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen Dr. Bernhard Lindenbauer zur Stellungnahme.

Der Facharzt stellte Traumatisierung, wenn auch mit leichter Besserung fest; der Gesundheitszustand stehe einer Abschiebung entgegen, wobei Artikel 3 EMRK (unmenschliche Behandlung) die Richtschnur sei.

In unserer Stellungnahme schrieben wir, das fänden wir auch. Trotzdem erließ das Bundesasylamt Linz im Juni 2007 einen in allen Punkten negativen Bescheid. Über die Zulässigkeit der Abschiebung habe nicht der Gutachter zu entscheiden!

Dies obwohl der Gutachter vom Asylamt bestellt worden war und das Amt selbst ihm die Frage nach der Zulässigkeit der Abschiebung im Sinne des Artikels 3 EMRK gestellt hatte. Wozu dann also das Gutachten? Eine Verschwendung von Steuergeld.

Die Berufungsverhandlung im UBAS war erstaunlich bald; Richterin Dr. Schrefler-König fand Malikas Angaben glaubwürdig, aber nicht asylrelevant:

Die Vergewaltigung sei „mit Sicherheit persönlich tragisch“, aber es könne „nicht Aufgabe des Asylwesens sein, vor allgemeinen Unglücksfolgen eines Bürgerkrieges zu schützen.“

Immerhin gewährte sie der Familie subsidiären Schutz und Aufenthaltsberechtigungen auf ein Jahr (September 2007).

So weit, so – halbwegs noch – gut. Die Familie versuchte, ein neues Leben zu beginnen, so gut es eben ging.

Eines der Kinder hatte Tuberkulose; sie wohnten in einem feuchten, schimmligen Loch. Malika litt an möglicherweise epileptischen Anfällen. Sie hatte laut psychiatrischem Befund „starke Angst vor fremden Männern“ wegen eines „belastenden Ereignisses“, an das sie sich aber nicht erinnern und über das sie nicht sprechen wolle.

Im Jänner 2008 fand Rahman einen Job bei einer Personaldienstleistungsfirma in Linz. Dort arbeitet er heute noch. Er ist ein fleißiger, bei den Kollegen und Vorgesetzten beliebter Arbeiter und erhält seine Familie aus eigener Kraft.

Im September 2008 lief die befristete Aufenthaltsberechtigung ab. Wir stellten rechtzeitig einen Verlängerungsantrag. Sollte kein Problem sein, sollte man meinen. Weit gefehlt. Das Asylamt in Person von Marlene Jungwirth schickte Malika und Rahman erneut zu Dr. Lindenbauer zur Begutachtung.

Dr. Lindenbauer stellte in seinem Gutachten vom 9.12.2008 fest, daß Malika nach wie vor sehr krank sei, und zwar sowohl psychisch als auch physisch, und daß im Falle einer Abschiebung aus neurologischer Sicht die reale Gefahr bestehe, daß sie aufgrund ihrer Epilepsie in einen lebensbedrohlichen Zustand gerate.

Der Gesundheitszustand Rahmans habe sich insofern gebessert, als er in Österreich Sicherheit und Geborgenheit gefunden habe und seit Anfang 2008 einer regelmäßigen Arbeit nachgehe.

So weit also, noch immer, alles klar. Sollte man meinen. Oder nicht?

Das Asylamt befand jedoch, Rahman und Malika wären schon gesund genug, um abgeschoben zu werden.

Mit Bescheid vom 15.3.2009 erkannte ihnen Frau Jungwirth den subsidiären Schutz ab und wies die ganze Familie nach Rußland aus. Dr. Lindenbauers Gutachten – einerlei! Daß Rahman Arbeit hatte: ebenso.

Dagegen erhob ich Beschwerde an den mittlerweile gegründeten Asylgerichtshof. Ich schrieb, das Asylamt hätte Malikas schlechte Gesundheit berücksichtigen müssen; ebenso aber auch die Integration der Familie, Rahmans Arbeit und Selbsterhaltungsfähigkeit,

In einer Gegenschrift beantragte das Asylamt eine ärztliche Untersuchung, ob Malika wirklich an Epilepsie litte.

Der Asylgerichtshof (Richterinnen Gloria Stark und Ulrike Scherz) behob daraufhin – sichtlich erbost – im August 2009 den Bescheid wegen völliger Mangelhaftigkeit der Ermittlungen der Erstinstanz: Diese habe eine solche Untersuchung gefälligst selber durchzuführen.

Im übrigen habe das Asylamt zu prüfen, ob eine Ausweisung in Anbetracht der nunmehrigen privaten Bindungen der Familie in Österreich überhaupt noch zulässig sei. „In diesem Zusammenhang“, so der Asylgerichtshof, „ist auch auf die treffenden Ausführungen des Vertreters in seiner Stellungnahme zu verweisen, die im Verfahren beim Bundesasylamt zu berücksichtigen sein werden.“

Das Asylamt dachte nicht daran, meine Ausführungen zu berücksichtigen. Es ordnete eine medizinische Untersuchung an; der diesmal beauftragte Arzt schrieb, daß es “keinen eindeutigen Hinweis für das Vorliegen einer Epilepsie“ gibt; bei Malikas Bewußtseinsstörungen dürfte es sich „eher um psychogene Anfälle“ handeln.

Daß sie diese Anfälle wirklich hatte, bestritt das Gutachten nicht. Die korrekte medizinische Bezeichnung war aber uns wiederum ziemlich egal.

Nach neuerlicher zermürbender Wartezeit erließ das Asylamt im September 2010 (!) – in dreister Mißachtung der Aufträge des Asylgerichtshofes – wieder einen Aberkennungs- und Ausweisungsbescheid. Ohne irgendwie auf die gute Integration einzugehen. Es war reine Schikane. Ein jahrelanges, zynisches Pingpongspiel auf dem Rücken der Flüchtlinge.

Also wieder Beschwerde an den Asylgerichtshof. Wieder legten wir für Rahman eine aktuelle Arbeitsbestätigung vor, sowie einen Gerichtsbeschluß, daß Malika (der es im Lauf der Zeit etwas besser ging) eine Gewerbeberechtigung für ein Textilgeschäft in Linz hat.

Es war bewundernswert, wie diese Familie auch unter widrigsten Umständen nicht aufgab. Großer Dank übrigens auch an die Volkshilfe Oberösterreich, die ihr in allen sozialen Belangen zur Seite stand.

Da Rahman keinen Deutschkurs absolviert hatte, legten wir auch noch Schreiben der Personaldienstleistungsfirma und des Vorarbeiters vor, daß er sich am Arbeitsplatz sehr gut auf Deutsch verständigen kann.

Es war jetzt so weit, daß wir uns nur mehr auf die Integration konzentrierten. Seit 2009 hat der Asylgerichtshof die Möglichkeit, bei Flüchtlingen, die nach dem 1. Mai 2004 nach Österreich gekommen sind, die Ausweisung für dauernd unzulässig zu erklären, sodaß ein Rechtsanspruch auf einen Aufenthaltstitel (im Volksmund „Bleiberecht“) entsteht.

Also schränkten wir die Beschwerde auf diesen Spruchpunkt ein und zogen den Rest zurück. Mit Erkenntnis vom 29.3.2011 erklärte der Asylgerichtshof die Ausweisung für auf Dauer unzulässig.

Malika, Rahman und ihre Kinder haben damit einen (vom Asylverfahren unabhängigen) Aufenthaltstitel und sind endlich aus dem Wirkungsbereich des Asylamtes Linz draußen. Für die Zukunft viel Glück!

Medienberichte aus jüngster Zeit zeigen, daß die Spruchpraxis des Asylgerichtshofes in solchen Fällen – gelinde gesagt – sehr uneinheitlich ist. Die für Malika und Rahmen zuständigen Richterinnen Gloria Stark und Ulrike Scherz hingegen haben menschlich und rechtsrichtig entschieden.

Aber offen bleibt die Rechnung, daß die Außenstelle Linz des Bundesasylamtes (wir wiederholen: in Gestalt von Mag. Marlene Jungwirth) dieser leidgeprüften Familie jahrelang das Leben schwer gemacht hat. Asyl in Not fordert seit Jahren eine Reform der Beamtenschaft an Haupt und Gliedern. Das Schicksal dieser Familie beweist, wie recht wir damit haben.

Michael Genner

Obmann von Asyl in Not

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Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not

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