Ein Beispiel unter vielen
Die Proteste der Flüchtlinge haben Diskussionen ausgelöst und die öffentliche Meinung sensibilisiert. Mittlerweile sollte klar sein, daß es nicht in erster Linie um bessere Quartiere geht. Aber auch der (sehr wichtige!) Zugang zum Arbeitsmarkt ist nur ein Teilaspekt.
Hauptursache der Proteste ist vielmehr die fortschreitende Verwahrlosung der Asyljudikatur, die permanente Mißachtung der Genfer Flüchtlingskonvention durch das Bundesasylamt und den Asylgerichtshof.
Viele der Betroffenen stammen aus Pakistan, wo die (einst vom CIA herangezüchtete) Taliban einen Vernichtungskrieg gegen die schiitische Minderheit führen.
Einem von ihnen, Herrn T. (er war unser Klient, daher kenne ich seinen Akt), schossen die Taliban mit Raketenwerfern das Haus in Brand. Alle 35 Dörfer in der Gegend wurden niedergebrannt. Er selber entkam; aber seine Eltern wurden danach umgebracht. Eine CD, die sein zerstörtes Heimatdorf zeigt, legte Herr T. dem Asylamt vor. Er entstammt einem den Taliban verhaßten schiitischen Clan.
Das Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle Ost; bis in eine Außenstelle drang sein Akt gar nicht vor) machte kurzen Prozeß und behauptete, sein Vorbringen sei „äußerst allgemein“; er habe „keine individuelle Verfolgung vorgebracht“…
Selbst wenn man allen seinen Angaben Glauben schenke, so das Bundesasylamt, würde dies keinesfalls zu einer Asylgewährung führen, da die Bedrohung „vom Staat ausgehen oder zumindest von diesem gebilligt werden“ müsse. Der Staat Pakistan gehe aber „hart gegen den (!) Taliban vor“…
Schon diese “Begründung“ ist eine Verhöhnung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, der (als er noch für Asylsachen zuständig war) in jahrelanger Rechtsprechung entschied, daß Verfolgung eben nicht vom Staat ausgehen und auch nicht von ihm gebilligt werden muß, um asylrelevant zu sein, daß es vielmehr darauf ankommt, ob der Staat auch in der Lage ist, vor Verfolgung zu schützen.
Letzteres ist in Pakistan, einem gescheiterten Staat, wo die Taliban nach Belieben ihr Spiel treiben, offenkundig nicht der Fall. Zahlreiche Medienberichte, die dies belegen, reichte unser gut informierter Klient im Laufe des Verfahrens (vergebens) nach.
Der Asylgerichtshof wies die Beschwerde ab, ohne eine Verhandlung durchzuführen oder sonstige Ermittlungen anzustellen; er wiederholte im wesentlichen das Vorbringen der Erstaufnahmestelle, fügte aber auch noch eigene Schmankerln hinzu:
Es sei zwar bekannt, daß Schiiten Opfer von Anschlägen werden, jedoch seien 20 Prozent der Pakistani Schiiten, daher sei die statistische Wahrscheinlichkeit, daß gerade Herr T. (dessen Haus schon niedergebrannt ist, dessen Eltern ermordet wurden!) einem Anschlag zum Opfer fiele, doch sehr gering…
Er sei „freiwillig in seinem Haus geblieben“, um gegen die Taliban zu kämpfen und sein Haus zu verteidigen, und habe „nicht einmal versucht, staatlichen Schutz zu erhalten“.
Ja, da war er doch selber schuld, wenn er dann verfolgt wurde! Aber asylrelevant ist das nicht… Soweit die Logik eines österreichischen Beamtenhirns.
Der Asylgerichtshof vermeinte aber auch, einen „Widerspruch“ in seinen Aussagen zu sehen:
Er hatte nämlich bei der ersten, kurzen Befragung in Traiskirchen gesagt, sein Haus sei niedergebrannt und seine Familie auseinandergerissen worden; um sein Leben zu retten, habe er flüchten müssen.
Bei der zweiten (ausführlicheren) Befragung hatte er präzisiert, die Familie sei (zum Glück!) schon fünf Tage vor dem Angriff der Taliban geflüchtet (den er im Raketenhagel überstand).
Wieso das ein Widerspruch sein soll, bleibt ein Geheimnis des Asylgerichtshofes. Anfragen bitte ich dorthin zu richten (einlaufstelle-linz@asylgh.gv.at; Zahl E10 418640-1/2011/23E vom 10.10.2012)
Herr T. hat in Österreich eine Frau kennen gelernt; sie haben miteinander ein Kind. Sie ist aus Tschetschenien geflüchtet und in Österreich subsidiär schutzberechtigt. Der Asylgerichtshof entschied, es sei ihr und dem Kind zumutbar, mit ihm nach Pakistan zu ziehen.
Die Herren Leitner und Engel (Asylgerichtshof Linz) haben diese Entscheidung verfaßt. Österreichische Staatsangehörige hingegen warnt das Außenamt auf seiner Homepage vor Reisen nach Pakistan wegen der dort überall herrschenden Terrorgefahr…
Ein Fall unter vielen; die Begründungen sind skandalös, aber nicht skandalöser als hunderte andere. Offensichtlich ist weder das Asylamt noch der Asylgerichtshof in der Lage oder gewillt, die Genfer Flüchtlingskonvention (in Verbindung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention) rechtsrichtig anzuwenden.
Und daraus sind die Konsequenzen zu ziehen. Es bedarf einer grundlegenden Neuordnung des gesamten Asylwesens. Dafür kämpfen die Flüchtlinge; dafür kämpft an ihrer Seite Asyl in Not.
Michael Genner
Obmann von Asyl in Not
P.S.:
We demand our rights!
Gleiche Rechte für alle!
Asyl in Not unterstützt den Aufruf zur Demonstration:
Samstag 16. Februar 2013, 14 Uhr
Wien Westbahnhof
Spendenkonto:
Raiffeisen (BLZ 32000),
Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not