JUSTIZPUTSCH
Oder: „Auch Richter stehen nicht unter Denkmalschutz“
(Christian Broda, 1963)
“Kein Grund für Emotionen”, meinen manche, und versuchen, die Affäre herunterzuspielen. Also gut, betrachten wir nur die Fakten. Es hat eine demokratische Wahl stattgefunden. Die Mehrheit hat entschieden. Es war eine Entscheidung zum Schutz der demokratischen Republik.
Ein Gericht hat diese Entscheidung aufgehoben. Nicht aus inhaltlichen, sondern aus einzig und allein formaljuristischen Gründen. Obwohl es, wie das Gericht selbst feststellte, nicht den geringsten Hinweis darauf gab, die Stimmen wären falsch gezählt worden. Das Gericht hat einen demokratisch gewählten Bundespräsidenten für nicht gewählt erklärt. Ein Vorgang, den es in Österreich bisher noch nicht gab.
Dieses Gericht hat seine elementare Verpflichtung zum Republikschutz außer Acht gelassen. Es hat aus seinen Erwägungen ausgeklammert, daß die extreme Rechte sich aller politischen und formaljuristischen Tricks bedient, die ihr zur Verfügung stehen, um die Republik zu destabilisieren: daß sie sich weigert, Wahlergebnisse anzuerkennen, daß sie Wahlen so lange wiederholen lassen möchte, bis ihr das Ergebnis paßt. Fast wie Erdogan voriges Jahr in der Türkei.
Diese Richter haben eine hart erkämpfte Volksentscheidung aufgehoben und damit möglicherweise die Tore geöffnet für eine Machtübernahme der extremen Reaktion. Der Verantwortung dafür können sie sich nicht entziehen.
Diese Verantwortung trägt aufgrund seines Amtes in erster Linie der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Gerhart Holzinger. Er ist uns nicht unbekannt. Ich rufe hier nur zwei Ereignisse in Erinnerung.
Holzinger war einmal Präsident des sogenannten „Menschenrechtsbeirates“, einer vom Innenministerium geschaffenen und von diesem abhängigen Institution, deren Kommissionen aber trotzdem bemüht waren, saubere Arbeit zu machen und die Polizei zu kontrollieren.
Ein solches Kommissionsmitglied war Bülent Öztoplu, damals auch Leiter des Vereins ECHO und um die Integration Jugendlicher der zweiten und dritten Generation bemüht. Bülent wurde von Polizisten eines Kommissariats, das er besonders genau zu kontrollieren pflegte, verhaftet, weil er fälschlich beschuldigt wurde, 17 Jahre vorher einen Mordversuch an einem deutschen Polizisten verübt zu haben. Deutschland hatte sich, wohlgemerkt, 17 Jahre lang nicht um seine Auslieferung bemüht.
Bülents Verhaftung war die Revanche für seine Arbeit. Asyl in Not solidarisierte sich mit ihm sofort, als eine der ersten NGOs, SOS Mitmensch schloß sich uns an. Bülents Verhaftung, schrieb ich damals, sei „ein Schlag gegen uns alle“.
Hingegen ließ Beiratsvorsitzender Holzinger, statt sich mit seinem Kollegen zu solidarisieren, die Mitglieder des Beirats per Umlaufbeschluß die Auflösung von Bülents Dienstvertrag beschließen. Was einer öffentlichen Vorverurteilung gleichkam.
Vorher hatte er Bülent Kommissionsvorsitzenden Georg Bürstmayr dazu bestimmt, Bülent zu einem „Einfrieren“ seines Vertrags zu überreden. Dieses „Einfrieren“ wurde von Bürstmayr und Holzinger fälschlich als Zustimmung zur Auflösung des Dienstvertrages uminterpretiert. Die Beiratsmitglieder wurden somit irregeführt.
Ich habe damals öffentlich den Rücktritt Holzingers und Bürstmayrs gefordert. Bülent wurde nach drei Wochen aus der Haft entlassen, reiste auf freiem Fuß nach Deutschland und wurde dort von der konstruierten Anklage des versuchten Mordes freigesprochen.
Es hat aber vieler Proteste bedurft, bis er (gegen Holzingers Widerstreben) endlich wieder einen Dienstvertrag erhielt.
Holzinger wurde sodann Präsident des Verfassungsgerichtshofes. In seine Amtszeit fielen die krassen Fehlentscheidungen über den Aufenthalt von Arigona Zogaj in Österreich. Arigona war als Kind mit ihren Eltern aus dem Kosovo geflüchtet. Österreich war ihre Heimat geworden.
Aber alle ihre Asylanträge wurden abgewiesen, bis hinauf zum Verfassungsgerichtshof, der entschied, Arigona sei zwar schon lange in Österreich, aber dieser Aufenthalt sei nur durch wiederholte, negativ entschieden Folgeanträge ermöglicht worden. Ihre „Integration“, die in einer Zeit erfolgte, als ihren Eltern die Unsicherheit ihres Status bewußt sein mußte, sei quasi illegal gewesen…
Der Verfassungsgerichtshof war zu dieser Fehlentscheidung natürlich nicht gezwungen. Kein Gesetz, keine Konvention verpflichtete ihn dazu. Er hätte genauso gut entscheiden können, der lange Aufenthalt in Verbindung mit ihren sozialen Kontakten reiche voll aus, um ihr und ihren Angehörigen einen sicheren Aufenthalt zu garantieren.
Daß er anders entschied, als es möglich gewesen wäre, schreibe ich daher dem persönlichen Übelwollen seiner Mitglieder und seines Präsidenten Holzinger zu.
Die Entscheidung zum Besseren fiel dann nicht durch formaljuristische Spitzfindigkeiten, sondern durch eine breite Volksbewegung, den „Aufstand der Anständigen“, geleitet von der Volkshilfe, unterstützt von Asyl in Not: Arigona verließ nur für kurze Zeit, um dem Gesetz Genüge zu tun, das Land und reiste dann wieder mit einem Aufenthaltstitel in ihre Heimat Österreich ein. Sie ist immer noch da, es geht ihr trotz Herrn Holzinger (der beinahe ihr Leben zerstört hätte) gut.
Und ich könnte noch viele skandalöse Fehlentscheidungen Holzingers und seines Gerichtshofes berichten, etwa was die Zerreißung gemischter Familien oder den Abschiebeschutz traumatisierter Menschen betrifft; aber vorläufig genügt es.
Allen diesen (gelinde gesagt) Justizirrtümern liegt seine Haltung zugrunde, formale Kriterien höher zu stellen als die Gerechtigkeit. Freilich ist er damit nur ein typischer Vertreter des bürgerlichen Unrechtsstaates, wie so viele, aber doch ein sehr deutlich positionierter.
Seine nunmehrige Entscheidung zugunsten eines Antrages der FPÖ fügt sich ins Gesamtbild ein, das wir uns von seiner Persönlichkeit und seinen Neigungen machen konnten.
Asyl in Not glaubt nicht an den Rechtsstaat, genauswenig wie an den Weihnachtsmann. Wir bedienen uns, um das Recht und die Interessen derer, die bei uns Schutz suchen, zu verteidigen, zwar der rechtlichen Instrumentarien, die uns zur Verfügung stehen. Aber wir glauben nicht an ihren Wert.
Wir wissen, daß wir der Gerechtigkeit nur durch die Verbindung juristischer Arbeit mit unnachgiebigem politischen Kampf dienen können. Dafür sind wir angetreten und das tun wir nun schon seit vielen Jahren mit Erfolg.
Als der Verwaltungsgerichtshof 1963 dem damals noch nicht ganz resignierten Kronprätendenten Otto Habsburg die Einreise erlaubte, prangerte Christian Broda, Justizminister und Rechtsreformer, dies als einen „Justizputsch“ an. Er warnte vor „Juristen im Richtertalare, die eine Staatsstreichtheorie vertreten“ wie schon in der Ersten Republik. Und als die Richter beleidigt aufheulten, erklärte er: „Auch Richter stehen nicht unter Denkmalschutz“.
Der jetzige Justizputsch steht unter weit schlimmeren Vorzeichen, denn Habsburgs Rückkehr auf den Thron stand 1963 nicht wirklich bevor. Wohl aber droht heute eine Machtübernahme durch die FPÖ. Und das, ich wiederhole es, wäre tatsächlich eine Gefahr für die demokratische Republik.
Diese Gefahr nehmen wir sehr ernst. Sie bedroht nicht nur die Geflüchteten, sondern ebenso die Armen, die Arbeitslosen, die prekär Beschäftigen, die alleinerziehenden Frauen, die Studierenden, die sozial Engagierten und viele andere, die zusammen die große Mehrheit sind.
Wir nehmen die neue Herausforderung an. Und wir sehen uns genau an, wer auf welcher Seite steht.
Michael Genner
Obmann von Asyl in Not, 1. Juli 2016
www.asyl-in-not.org
Links:
https://asyl-in-not.org/php/skandal_im_menschenrechtsbeirat,12310,4892.html
https://asyl-in-not.org/php/antwort_an_georg_buerstmayr,12310,4895.html
https://asyl-in-not.org/php/gerechtigkeit_fuer_buelent,12310,4916.html
https://asyl-in-not.org/php/politjustiz_gegen_arigona,18561,24421.html
https://asyl-in-not.org/php/arigona_ist_heimgekehrt,18561,25785.html
Ausführlich:
Michael Genner, „Verleitung zum Aufstand“,
S. 179-187 („Skandal im Menschenrechtsbeirat)
S. 232-234 („Bleiberecht“)
Maria Wirth, „Christian Broda. Eine politische Biographie“, S. 248-262).
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