Asyl für Prokop-Opfer
Nach über fünf Jahren…
Romzan, seine Frau und die Kinder flüchteten 2006 aus Tschetschenien. Zuerst kamen sie nach Polen, aber dort waren sie nicht sicher, weil es dort von Kadyrov-Agenten wimmelt. Also flüchteten sie nach Österreich weiter, wo sein Bruder als anerkannter Flüchtling lebt.
Romzan war in seiner Heimat gefoltert worden, er war schwer traumatisiert. Aus dem Befundbericht von Erwin Klasek (Hemayat), einem Psychotherapeuten und Experten für Folteropfer, zu dem ich Romzan schickte, bevor er nach Traiskirchen ging:
„Kein Tag ohne Kopfschmerzen. Er sage sich ‚nicht daran denken’, aber es komme von selbst wieder. ‚Es’ stehe immer vor den Augen. Er wisse nicht, was sie mit ihm gemacht hätten. Es habe alles gegeben, auch E-Schock, aber er erinnere sich so schlecht. Er verstehe die, die ihn gefoltert hätten; sie täten nur ihren Dienst. Deshalb sei Rache kein Thema für ihn. Eigentlich wolle er sterben, ‚zack, Messer hinein’, aber die Religion lasse das nicht zu.“
Auch Romzans Frau war krank, psychisch ebenso wie physisch, sie war schwanger gewesen, als die russischen Soldaten das Haus stürmten, war zusammengeschlagen worden und hatte das ungeborene Kind verloren.
Aber auch in Österreich fanden Romzan und seine Angehörigen keinen Frieden. Am 1. Jänner 2006 war das Prokop-Gesetz in Kraft getreten. Die vorher geltende Schutzklausel für Traumatisierte und Folteropfer war abgeschafft. Auch diese am schwersten Verfolgten wurden nun schon am Beginn des Asylverfahrens gnadenlos hinter Gitter gebracht.
Ich riet Romzan davon ab, nach Traiskirchen zu gehen. Er würde dort bestimmt verhaftet werden. An seinen Fingerabdrücken würde man sehen, daß er vorher in Polen war. „Dublin-Treffer“! Das bedeutete unweigerlich Schubhaft. Wäre es nicht besser, illegal beim Bruder zu bleiben oder bei anderen Verwandten? Einmal würden bessere Zeiten kommen, in Österreich oder Rußland…
Aber Romzans Frau ging es sehr schlecht, sie brauchte medizinische Versorgung, also gingen sie zusammen nach Traiskirchen und es kam so, wie ich es gesagt hatte: Romzan wurde vor den Augen von Frau und Kindern abgeführt.
Meine erste Schubhaftbeschwerde wies der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) ab. Aber immerhin – der Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS), damals Zeitinstanz im Asylverfahren, gab am 29.11.2006 meiner Berufung gegen den Dublin-Bescheid recht. Das Asylamt hätte den Klasek-Befund würdigen müssen. Das war Glück, die Entscheidung hätte genauso gut negativ sein können, das Asylverfahren ist hierzulande längst zum Lotteriespiel verkommen.
Romzan war somit zum Verfahren zugelassen. Trotzdem ließ die Traiskirchner Fremdenpolizei den schwer kranken Mann noch sieben weitere Tage – völlig rechtswidrig! – im Gefängnis dunsten.
Folteropfer neuerlich einzusperren, löst Retraumatisierung aus und ist psychische Folter im Sinne der Antifolterkonvention.
In meinem damaligen Protest-Rundmail am 5. Dezember 2006 habe ich Liese Prokop erstmals „Ministerin für Folter und Deportation“ genannt:
https://asyl-in-not.org/php/folteropfer_in_schubhaft,12313,8135.html
Der Bezirkshauptmannschaft Baden, Traiskirchner Fremdenpolizei, schickte ich eine dringende Aufforderung, Romzan sofort aus der Haft zu entlassen. Was am 6.12.2006 dann endlich geschah. Meiner zweiten Haftbeschwerde gab der UVS nachträglich, mit einiger Zeitverzögerung, statt.
Aber damit war die Sache noch nicht gewonnen. Jetzt begann das inhaltliche Verfahren. Es hat lange gedauert…
Das Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, wies den Antrag wegen angeblicher Widersprüche zwischen den Aussagen Romzans und seine Frau ab. So habe sie sich erinnert, sie beide hätten hätten sich im Schlafzimmer befunden, die Soldaten hätten sie aus dem Schlaf geweckt; er hingegen habe angegeben, die Eindringlinge hätten geklopft und er habe die Türe aufgemacht.
In der Berufung machten wir geltend und zitierten dazu Fachliteratur, daß so schwerwiegende, traumatisierende Ereignisse zu Gedächtnisverlusten führen können; Romzans Frau erinnerte sich an dieses Ereignis eben anders als er.
Hinzu kam, daß sie – obwohl sie einen sexuellen Übergriff im Zuge einer Hausdurchsuchung geltend machte – zunächst von einem männlichen Beamten befragt wurde; dann erst von einer Beamtin.
Auch hier glaubte das Asylamt einen Widerspruch zu erkennen: einmal habe sie gesagt, es sei „versucht“ worden, ihr „die Kleider vom Leib zu reißen“; sodann aber, sie selbst habe „sich nicht ausgezogen“… Wo da der Widerspruch sein soll, verstehe wer da will.
Eine schriftliche Aussage des (mittlerweile in England lebenden) früheren Kommandanten, dessen verwundete Kämpfer Romzan mit Medikamenten unterstützt hatte, beachtete das Asylamt überhaupt nicht.
Die Berufung war 2007… Der Akt lag eine Weile beim UBAS, dann beim Asylgerichtshof, gut versteckt offenbar unter vielen Aktenstößen. Nur selten und ganz bescheiden fragte Romzan bei uns an, wie lange es wohl noch dauern würde; wir sagten, wie in allen solchen Fällen, wir wüßten es nicht und könnten es auch nicht beschleunigen; er müsse geduldig sein…
Romzan fügte sich in sein Schicksal; er und seine Frau besuchten Deutschkurse, eine Tochter geht schon in die Volksschule, die zweite in den Kindergarten, sie sind in dem Ort in Niederösterreich, wo sie wohnen, gut integriert. Eine Arbeitsplatzzusage für Romzan lag auch schon vor.
Ende 2011 nahm endlich der zuständige Asylrichter den Akt in die Hand und stellte auf den ersten Blick so schwere Verfahrensmängel fest, daß er (mit Recht) keine Lust empfand, sich weiter damit zu beschäftigen. Er behob den Bescheid und schickte den Fall zurück an den Start – ins Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt:
Romzans Frau hätte nicht von einem Mann befragt werden dürfen. Auch sei nicht geprüft worden, ob Romzan nicht schon wegen seines in Österreich asylberechtigten Bruders Verfolgungsgefahr drohe.
Anfang 2012 begleitete ich Romzan nach Eisenstadt. Diesmal waren wir bei einer sehr freundlichen Beamtin, Romzan konnte in Ruhe seine Fluchtgründe erzählen, seine Gattin (an deren Befragung ich als Mann nicht teilnahm) ebenso.
Wenige Wochen später erhielten wir die positiven Bescheide. Ein erfreulicher Ausgang, aber leider erst nach über fünf Jahren… Warum nicht gleich?!
Michael Genner
Obmann von Asyl in Not
Spendenkonto:
Raiffeisen (BLZ 32000),
Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not