Antwort an Georg Bürstmayr

Eine Polemik
von Michael Genner

Sehr geehrter Herr Mag. Bürstmayr!

Selbstverständlich haben wir Ihnen die Möglichkeit zur Antwort auf meinen Bericht eingeräumt. Sie werden verstehen, daß ich meinerseits antworte und auch das Publikum zur Teilnahme an der Diskussion einlade.

Ich bin vielleicht ein altmodischer Mensch; jedenfalls halte ich an Grundsätzen fest, mit denen ich aufgewachsen bin. Einer davon lautet, daß man das Private nicht vom Politischen trennen soll. Das war eines der Leitmotive der Bewegung von 1968, die mich geprägt hat, und ich versuche noch immer, mich daran zu halten, wohl wissend, daß das oft sehr mühevoll ist.

Sie schreiben mit Recht, daß Ihr Verhalten “nicht fehlerlos” war. Aber Sie weigern sich, zu erkennen, daß Sie der Öffentlichkeit (und nicht nur Bülent, und nicht nur den Mitgliedern Ihrer Kommission) dafür Rechenschaft schuldig sind.

Bülents Verhaftung war aber nicht seine Privatsache. Ebensowenig wie das Verhalten des Menschenrechtsbeirats irgend jemandes Privatsache war. Bülent, die Mitglieder der Kommission, die Mitglieder des Beirats, Sie und ich agieren im öffentlichen Raum und unterliegen daher auch der öffentlichen Kritik.

Sie, Herr Mag. Bürstmayr, waren in einer Interessenskollision: Einerseits waren Sie als Bülents Rechtsanwalt zu seiner parteilichen Vertretung verpflichtet; andererseits waren Sie als Leiter seiner Kommission zugleich der Vertreter seines Dienstgebers, der bemüht war, ihn loszuwerden.

Dieser Kollision versuchten Sie sich dadurch zu entziehen, daß Sie Bülents Vertretung niederlegten. Nur leider hatten Sie unterdessen eine Handlung gesetzt, die zum Nachteil Ihres Mandanten war und die nur durch den inneren Zwiespalt erklärbar ist, in dem Sie sich befanden:

Sie hatten nämlich Ihren Mandanten (mit Verspätung, aber immerhin) im Gefängnis besucht und ihm jene Erklärung abverlangt, die Sie dann in Ihrem Schreiben an den Menschenrechtsbeirat zitierten; unrichtig zitierten, wie wir alle wissen – was die Auflösung von Bülents Dienstvertrag zur Folge hatte.

Wenn Sie nun vorbringen, Sie hätten zwar den Inhalt von Bülents Erklärung richtig wiedergegeben, diese ließe allerdings zwei Interpretationen zu, so wissen Sie als Anwalt nur zu genau, auf wie schwachen Beinen diese Ihre Verteidigung steht.

Wie Sie selbst schreiben, wollte Bülent eben nicht ausdrücken, daß er seinen Werkvertrag auf Dauer zurücklegt. Er hatte sich lediglich auf Dauer seiner Haft für verhindert erklärt und einem “Einfrieren” des Werkvertrags auf Haftdauer (und das waren schließlich nur drei Wochen!), keineswegs aber einer Vertragskündigung zugestimmt.

Wenn Sie das (angeblich jetzt erst) ohnedies wissen – wie können Sie dann behaupten, Sie hätten den Beirat richtig informiert?

Vor allem aber: Warum haben Sie Bülent überhaupt dazu geraten, eine solche Erklärung abzugeben, die (mit welchem Wortlauf immer) keineswegs in seinem Interesse lag?

Meinen Sie nicht, daß Sie als sein Anwalt (wenn schon nicht als sein Mitstreiter, um nicht zu sagen: sein Freund) geradezu die Pflicht hatten, ihn vor einem solchen Schritt (der seine Eliminierung erleichterte) ausdrücklich zu warnen? Ihn davon abzuhalten?

Ihr Schreiben an den Menschenrechtsbeirat – einerlei ob Sie ihn nun falsch informiert oder “nur” Bülent falsch interpretiert haben – hatte für Ihren Mandanten schwerwiegende Folgen. Sein Dienstvertrag wurde aufgelöst; Bülent war damit – abgesehen vom finanziellen Schaden, den er davontrug – in der Öffentlichkeit vorverurteilt.

Daran tragen Sie ein gerüttelt Maß Schuld, und das meine ich mit der Verletzung Ihrer Pflicht.
Denn als sein Rechtsanwalt, ich wiederhole es, hatten Sie Bülents Interessen (und ausschließlich diese) parteilich wahrzunehmen, ohne Rücksicht auf die Interessen seines Dienstgebers, des Menschenrechtsbeirats.

So weit zum Formal-Rechtlichen. Aber das ist es nicht allein. Was ich Ihnen vorwerfe, geht viel weiter: Bülents Verhaftung war ein politischer Akt, ein Akt der staatlichen Repression gegen die Zivilgesellschaft. Er sollte nicht nur Bülent treffen, sondern der Einschüchterung und Abschreckung anderer dienen. Diesen Zweck hat er teilweise erreicht; auch darüber wurde beim Treffen am vergangenen Mittwoch diskutiert.

Auf Bülents Verhaftung war daher politisch zu reagieren. Manche haben das getan; andere haben versucht, sich herauszuhalten. Nur nicht anstreifen! Es könnte ja doch etwas dran sein… Sie, Mag. Bürstmayr, gehören zu einer dritten Kategorie: nämlich jenen, die noch (wie schon erörtert) ein Schäuferl nachgelegt haben zum Nachteil Bülents.

Dazu gehört auch Ihr (in meinem vorigen Brief erwähntes) Rundschreiben vom 17. September, in dem Sie jeden politischen Zusammenhang abstritten; dafür gibt es nur ein Wort: Desinformation.

Dazu gehört auch Ihre Bemerkung in jenem Schreiben, Bülent sei “unschuldig, solange er nicht rechtskräftig verurteilt werden sollte”.

Sollte ich eines Tages aus politischen Gründen vor Gericht stehen (wie Sie vielleicht wissen, wäre es nicht das erste Mal), dann wünsche ich mir ganz gewiß keinen Anwalt, der mich nur so lange für unschuldig hält, bis ich verurteilt worden bin. Sondern einen, der an meiner Seite steht und kämpft.

Sie hätten als Bülents Anwalt öffentlich seine Unschuld vertreten, seine Haftentlassung fordern und die Auflösung seines Dienstverhältnisses anprangern können.

Statt dessen traten Sie als verlängerter Arm des Beiratsvorsitzenden Holzinger auf, der – statt sich mit Bülent zu solidarisieren – seine Beseitigung aus der Kommission betrieb.

Wie ich Ihrem Schreiben entnehme, möchten Sie auch in Zukunft zivilgesellschaftliche Aufgaben wahrnehmen. Dann müssen Sie aber akzeptieren, daß die Zivilgesellschaft Ihre charakterliche Eignung diskutiert.

Wir führen einen ständigen Kampf gegen Übergriffe und Willkür der Behörden. Als Nichtstaatliche Organisationen – ohne Macht, ohne Geld, ohne Apparat – stehen wir dem Staat gegenüber: einem Staat, dessen Beamtenschaft von antidemokratischen, fremdenfeindlichen Elementen so sehr durchsetzt ist, daß unser Bemühen, ihn zu verändern und zu verbessern, jedem von uns eine gewisse Bereitschaft zum persönlichen Risiko abverlangt.

Dabei werden manche schwach. Das kann ich gut verstehen. Ich bin auch oft müde und mutlos. Aber dann ist es besser, man zieht sich eine Zeitlang zurück. Statt anderen zu schaden. Sie, Kollege Bürstmayr, sind auch schwach geworden. Aber sie haben daraus die falsche Konsequenz gezogen. Sie haben die Arbeit des Gegners besorgt. Sie sind ein Bestandteil geworden der gegen Bülent (und gegen uns alle) gerichteten Aktion.

Wir, die Nichtstaatlichen Organisationen, haben in einem solchen Fall nur ein einziges Sanktionsmittel: die öffentliche Kritik. Diese Kritik übe ich jedenfalls mit aller gebotenen Härte. Aus Gründen der Generalprävention: Verrat darf sich nicht lohnen.

Mit besten Grüßen
Michael Genner

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