Alle anderen gehen leer aus…

Was jetzt geschieht, das hatten wir schon.

Die rassistische Diskriminierung zwischen „guten“ und „schlechten“ Flüchtlingen, „Nachbarn“ und „Fremden“. In den Neunzigerjahren, als bosnische Kriegsflüchtlinge ohne Asylverfahren Aufenthaltsberechtigungen und Zugang zum Arbeitsmarkt erhielten. Was wir ihnen gerne gönnten. Aber: alle anderen gingen leer aus.

Unser Wartezimmer war damals voll mit Geflüchteten aus der Türkei, aus dem Iran, dem Irak, aus Nigeria und dem Kongo. Ihre Asylanträge waren mit skandalösen Begründungen abgewiesen worden. Folteropfer mit sichtbaren Narben am Körper und offenkundiger Traumatisierung wurden als „unglaubwürdig“ abgestempelt.

Überdies wurde damals die „Drittlandklausel“ eingeführt: Der Asylantrag mußte im Nachbarland gestellt werden, egal wie schrecklich es dort war. Iranische Flüchtlinge etwa in der Türkei, die Hunderte von ihnen in den Iran zurückschob, wo viele sofort erschossen wurden.

Wohlgemerkt: In der Genfer Flüchtlingskonvention kommt das Wort „Drittland“ nirgends vor; auch die heute geltende Dublin-Verordnung ist eine späte Erfindung der Herrschenden, um Flüchtende ihrer Rechte zu berauben.

Verantwortlich für die verschärfte Asylpolitik waren der „rote“ Polizeiminister Franz Löschnak und sein Sektionschef Manfred Matzka, der „furchtbare Jurist“, wie wir ihn nannten. Ihr Asylgesetz (1991) war eine Verhöhnung der Genfer Flüchtlingskonvention.

Es war die Zeit nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ (1989), an dessen Stelle die „Festung Europa“ entstand. Die Flüchtlinge vorher hatten keine besseren und keine schlechteren Gründe gehabt als diejenigen, die man nun abschob. Sie hatten nur einen Vorzug: daß sie weiß, christlich und antikommunistisch waren.

Die faktische Abschaffung der Genfer Flüchtlingskonvention unter Löschnak und Matzka war also politisch motiviert und diente einem rassistischen Zweck: die „Fremden“ fernzuhalten.

Daher wurde zugleich auch das Fremdenrecht verschärft, wurden tausende ArbeiterInnen, die mit ihren Händen den Reichtum Österreichs mitgeschaffen hatten, ihres Aufenthaltsrechts beraubt.

Wir von Asyl in Not haben viele Jahre lang dagegen gekämpft, immer wieder mit Erfolg. Wir verhalfen Löschnak zum Sturz (1995); Caspar Einem brachte uns ein besseres Gesetz mit einer unabhängigen Berufungsinstanz, dem Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS), der unsere östlichen Nachbarländer (nicht zuletzt aufgrund der Recherchen von Asyl in Not) zu unsicheren Drittstaaten erklärte.

Dieser Erfolg ermöglichte uns große Fortschritte der Judikatur, wurde aber zunichte gemacht durch den EU-Beitritt Polens, Tschechiens, Ungarns, Sloweniens und der Slowakei (2004), die über Nacht zu angeblich sicheren Dublin-Staaten wurden, obwohl sich dort nicht das geringste geändert hatte.

Und jetzt wiederholt sich die Geschichte!

Geflüchtete aus der Ukraine erhalten ohne Verfahren einen Aufenthaltstitel und sollen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Wie die bosnischen Flüchtlinge in den Neunzigerjahren. Sie dürfen auch weiterziehen in Länder ihrer Wahl. Für sie gilt die Dublin-Regelung nicht…

Während unzählige Nichtweiße, Nichtprivilegierte unter schrecklichen Bedingungen in Elendsquartieren an den Außengrenzen der Festung Europa vegetieren und man selbst denjenigen, die jahrelang in der Ukraine gelebt, studiert, gearbeitet hatten, den Zugang zum ach so „freien“ Europa verwehrt.

Unfassbar, wie der derzeit amtierende Regierungschef das Recht verhöhnt. Die Drittlandklausel erklärt er, wider besseres Wissen, zum Bestandteil der Genfer Flüchtlingskonvention! UkrainerInnen sind für ihn „Nachbarn“, Geflüchtete aus der Türkei (die von Österreich nicht viel weiter entfernt liegt als die Ukraine) oder aus Afghanistan sind „Fremde“ und sollen wieder einmal leer ausgehen.

Nicht, daß uns das noch wundern könnte, nach all dem, was schon war. Wir kämpfen weiter.

Bis die Festung Europa fällt.

Michael Genner, Asyl in Not

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