Über die österreichische Klassenjustiz
Kommentar von Kübra Atasoy
ehrenamtliche Mitarbeiterin von Asyl in Not, u.a. Prozessbeobachterin
30. September 2014
Die Bilanz dieses Sommers ist traurig. So traurig wie so manche Szene, die man sieht, wenn man seine Tage im Landl verbringt. Während Jugendliche in Handschellen zu ihren Verhandlungen rein- und wieder raustransportiert werden, sitzt man als Prozessbeobachterin in verschiedensten Gerichtssälen bei den politischen Prozessen des Sommers. Und versucht angestrengt, nicht auszurasten.
Fluchthilfeprozess, Rapid-Prozess, Josef S., Hüseyin S., „Unsterblich“-Prozess. Man hat also alle Hände voll zu tun. Und bis auf den Fluchthilfeprozess haben alle eines gemeinsam: Die Geschäftsabteilung Staatsschutz- und Terrorismusstrafsachen (ehemals politische Abteilung) Und wie der Zufall es so will, auch die Anklage auf Landfriedensbruch.
Diese Anklagen werden geführt vom im Kampf gegen unangenehm Auffallende besonders engagierten Extremismus-Duo Schön und Kronawetter.
Stefanie Schön ist uns noch allzu gut in Erinnerung, wollte sie doch Anfang des Jahres Michael Genner, Obmann von Asyl in Not, der so genannte Schlepper als „Dienstleister, die eine sozial nützliche Tätigkeit verrichten“, beschrieb, wegen Gutheißung einer Straftat vor Gericht stellen.
Sie ist auch die Staatsanwältin im Prozess gegen die angeklagten Rapid-Fans gewesen, die von Anfang keine Chance hatten. Mit einer dilettantischen Richterin und kleinstbürgerlichen Schöff_innen war der Weg geebnet, um auch mit diesem Prozess ein Exempel zu statuieren. Im Rapid-Prozess geht es, wie in allen anderen, um ganze Existenzen. Wer sich noch Illusionen über die Justiz macht, sollte sich einen Tag lang in eine x-beliebige Verhandlung setzen.
Denn es geht nicht um Gerechtigkeit, es geht darum, unliebsame Strukturen und Menschengruppen mundtot zu machen und zu zerstören. In Österreich herrscht Klassenjustiz. Um hier Missverständnisse zu vermeiden, merke ich gleich an, dass es nicht überraschend ist, dass ein Gericht so handelt, wie es handelt. Vor Gericht gibt es keinen Raum für Freiheit. Es erfüllt seine repressive Funktion in dieser Gesellschaft: Hier werden Fans gemaßregelt, Urteile aufgrund von Verhalten vor Gericht gefällt, hier werden tagtäglich Menschen erniedrigt. Ganz wie in der Schule. Überraschend ist nur, mit welcher Inbrunst vorgegangen wird, erschreckend ist die unverständlich spießbürgerliche Überidentifikation der Schöff_innen mit dem Gericht.
Schon am ersten Tag gibt es Schuldsprüche im Landfriedensbruch, die deutlich machen, dass es keinen Unterschied machen wird (außer im Strafrahmen), ob die Angeklagten jetzt ein Hemd anhaben oder lachen, wenn die Farce nicht länger auszuhalten ist.
Das Urteil stand vom ersten Tag an fest. Bevor das Beweismaterial überhaupt vollständig gesichtet wurde. So engagiert StA Schön also am ersten Tag noch war, als sie den Fans mit einer gepfefferten Anklageschrift drohte, so gelangweilt war sie an den letzten Tagen des Prozesses. Noch einen Tick gelangweilter und sie wäre einfach in ihrem Sessel zusammengesackt statt Löcher in die Luft zu starren als der Verteidiger am Wort war.
Umso mehr ein Schlag in die Magengegend ist der persönliche Einsatz der zweiten Hälfte des Duos: Kronawetter – der physiognomisch etwas an NS-Schaurichter Roland Freisler erinnert – steht der Hass gegen Linke und Prolet_innen ins Gesicht geschrieben. Einer, der für seine früheren Niederlagen späte Rache im politischen Prozessieren gefunden hat. Eine Enttäuschung wie seine, als Hüseyin S. vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen wurde, sucht ihresgleichen.
Im Prozess gegen die „Unsterblich“-Nazis, die vor bald einem Jahr eine Gewerkschaftsversammlung angriffen, hat Kronawetter auch gleich zwei Linke mitangeklagt. Ein Zeuge reichte nicht aus, um die beiden zu entlasten. Kronawetter erweitert die Anklage nun auf schwere Körperverletzung und leitet ein Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen wegen falscher Zeugenaussage ein. Alte Leier, kennen wir schon. So wurde zuletzt ein entlastender Zeuge im Rapid-Prozess just nach seiner Aussage von Schön angeklagt und dann doch endgültig freigesprochen. Einschüchterungspolitik.
Die Gewalt eines repressiven Organs entlädt sich dort am Stärksten, wo Potenzial ist, die Ordnung zu stören. Und sie trifft jene am Härtesten, die niemanden haben. Michael Genner, Träger des Menschenrechtspreises, hat einige namhafte Fürsprecher_innen gefunden. Dieses Privileg haben viele nicht.
Josef S. hatte es. Die Migrant_innen und Fußballfans müssen aber mit einem Bruchteil der Medienaufmerksamkeit, die er bekam, auskommen. Und auch des Geldes. Während für Josef eine Soli-Party nach der anderen geschmissen wurde, zeichnet sich die Wiener Linke und Zivilgesellschaft in den aktuellen Prozessen durch Schweigen aus. Solidarität bleibt vielfach ein Lippenbekenntnis.
Die Anklage gegen Michael Genner wurde zurückgenommen, weil ein großer Protest organisiert werden konnte. Weitere Prozesse gegen Migrant_innen und Fußball-Fans werden folgen und weitere Angeklagte brauchen Unterstützung. Vor allem für die Anwaltskosten.
Kronawetter und Schön sind auf der Jagd und sie werden nicht ruhen. Und wir müssen zusammenhalten. Wir rufen daher ausnahmsweise nicht nur auf, für uns selber zu spenden, sondern auch für die Opfer der polizeilichen und justiziellen Repression:
Spendenkonto für den Fluchthilfe-Prozess:
BIC: GIBAATWWXXX
IBAN:AT212011128346225202
http://www.fluchthilfe.at/
Spendenkonto für die Rechtshilfe Rapid
IBAN: AT511400018410000659
BIC: BAWAATWW
http://www.rechtshilfe-rapid.at
Spendenkonto für den „Unsterblich“-Prozess:
IBAN: AT78 1400 0056 1600 4850
BIC: BAWAATWW
lautend auf Selma Schacht