Zwanzig Jahre seit dem Lichtermeer
Es war ein faszinierender, unvergeßlicher Anblick: Der Heldenplatz am 23. Jänner 1993 – fest in unserer Hand. Eine Viertelmillion Menschen. Den Nazis nahmen wir den Platz weg, wo ihr Führer den Anschluß verkündet hatte. Das war jetzt unser Platz.
Und wir hatten Erfolg. Haider war schwer angeschlagen: Nur 400.000 Unterschriften, statt der erhofften Million, für sein Antimenschen-Begehren. In Wien nur 100.000 – gar kein Vergleich mit den 250.000 auf unserem Platz!
Um diesen Sieg zu erringen, um alle Kräfte zu konzentrieren an einem einzigen, taktisch wichtigen Punkt, hatten wir so manchen faulen Kompromiß gemacht.
Ich hatte mir die Nase zugehalten, bei Sitzungen, wo Cap-Sendlinge oder – wie hieß die von der ÖVP? – auch dabei saßen. Und es hat sich am Ende gelohnt: Das Lichtermeer war unser Triumph. Ich habe es auch stets verteidigt, in vielen Diskussionen mit wütenden Menschen, deren Hoffnungen bitter enttäuscht worden waren.
Aber hatten wir nicht „das falsche Schwein geschlachtet“? Nur wenige Monate nach unserem schönen Lichtermeer, am 1. August 1993, trat das Anti-Ausländergesetz des „roten“ Polizeiministers Löschnak und seines “furchtbaren Juristen“ Manfred Matzka in Kraft. Viele tausende fleißige, tüchtige Arbeiter wurden mit einem Schlag „illegal“.
Weil das Einkommen zu niedrig, die Wohnung zu klein war nach der neuen „Quadratmeterklausel“, oder weil sie die neue Antragsfrist versäumt hatten. „Gastarbeiter räumen“, nannte man das. Noch schlechter ging es Flüchtlingen; für sie stand im Asylamt in der Schlachthausgasse (nomen est omen) der Abschiebekäfig bereit.
Überall in Wien hingen Plakate der SPÖ: “Gesetze statt Hetze!“ Der „rote“ Parteisekretär Cap – der sich eben noch des Lichtermeeres rühmte – hatte sie sich ausgedacht.
Die Botschaft war klar: Wir können das viel besser als die Nazis… Wir mit unseren Gesetzen machen das schon: Ausländer raus! Haider meinte: Löschnak sei sein bester Mann in der Regierung. Tatsächlich dachten Löschnak und Matzka genauso wie er. Und sie brauchten, sie benutzten Haider, um ihre rassistischen Gesetze durchzuziehen.
Nur zu groß werden sollte er nicht, und dafür brauchte die SPÖ uns. Wenigstens an diesem einen Tag. Und umgekehrt wir sie auch. Peter Huemer hat es auf der Matinee im Volkstheater am 20. Jänner 2013 auf den Punkt gebracht: „Ohne die Sozialdemokratie hätten wir den Heldenplatz nicht vollgekriegt.“
Also haben wir mitgespielt.
Und auch die Kirche war wichtig, um Haider in die Schranken zu weisen. Also vergaßen wir, wenigstens für diesen einen Tag, wie oft die Caritas uns schon im Kampf für die Flüchtlinge in den Rücken gefallen war …
Also haben wir sie alle in unser Boot geholt. Und es war eine schöne Demonstration, der Heldenplatz war voll und Haider, so schien es, war besiegt. Für einen Augenblick. Dafür haben wir die ganze Breite dieser unheiligen Allianz gebraucht.
Aber dann mußten wir schnell ans Werk gehen, um diese Breite auf ein gedeihliches Maß zu reduzieren und uns aus erstickenden großkoalitionären Umarmungen zu befreien. Sonst wäre SOS Mitmensch zum Feigenblatt verkommen eines rassistischen Systems.
An den „Mühen der Ebene“, die auf das Lichtermeer folgten, war ich nicht unbeteiligt: Ich gehöre seit 1993 dem Vorstand von SOS Mitmensch an. Manchmal in dieser Zeit mußte ich meine Hände tief hineinstecken in den Schlamm.
So etwa gab es, fünf Jahre nach dem Lichtermeer, eine Matinee im Volkstheater, 1998, die wir selber, ein paar Vorstandsmitglieder von SOS Mitmensch, sprengen mußten, weil dort zwei Regimepolitiker, ein Schwarzer und ein Roter, am Podium saßen, als gehörten sie auch dazu…
Da waren Maßnahmen nötig und wir haben sie ergriffen. Ebenso wie bald darauf gegen einen, von dem heute jeder weiß, daß er im Dienst des Innenministeriums steht. Damals wunderte er sich öffentlich über die „Geduld der Polizei“, weil sie noch nicht gegen mich vorgegangen sei… Er gehörte dem Vorstand von SOS Mitmensch daraufhin nicht mehr an.
Großer Dank gebührt, neben vielen anderen, Peter Kreisky (post mortem), Silvio Lehmann, Friedrun Huemer, Willi Stelzhammer und Max Koch, die alle dazu beitrugen, die Probleme von damals zu lösen.
Nebenbei hatte ich mich dann auch noch mit Islamisten zu befassen, die (vergebens) versuchten, uns zu unterwandern. Viel Feind‘, viel Ehr‘…
Heute ist SOS Mitmensch eine in sich gefestigte Organisation, die – im Bund mit Asyl in Not und anderen NGOs – ihre Aufgabe als Transmissionsriemen erfüllt.
Heute geht es wieder ums Ganze. Heute mehr denn je stehen wir NGOs einem gnadenlosen Feind gegenüber: dem tiefen, korrupten, rassistisch unterwanderten Staat.
Alle, die ein Stück des Weges mit uns gehen wollen, sind uns willkommen. Aber sie sollen wissen: Dieser Weg ist steil und steinig. Nur wer stark genug ist, soll ihn mit uns gehen.
Michael Genner
Obmann von Asyl in Not
Spendenkonto:
Raiffeisen (BLZ 32000),
Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not