Zum Jahreswechsel

Liebe Leserinnen und Leser,

verzeihen Sie, wenn wir Sie langweilen, aber das Jahr geht zu Ende, wie es begonnen hat. Immer noch werden in den Flüchtlingsquartieren Frauen und Kinder nachts aus dem Schlaf gerissen und ins Polizeiauto gesetzt, um abgeschoben zu werden. Alltag in Österreich…

Arigona hat immer noch keinen legalen Aufenthalt, ihre kleinen Geschwister sitzen in Ungarn in einem Lager fest; Österreich verweigert ihnen die Einreise. Dafür nimmt der Totenkult  um einen, der sein Leben lang gegen „fremde“ Menschen gehetzt hat und im Vollrausch in den Tod gerast ist, immer aberwitzigere Züge an.

Ungebrochen bleibt einstweilen aber auch das andere Österreich, jenes der Menschenrechte und der Demokratie. Immerhin gaben tausende Menschen in den letzten Tagen auf der Homepage www.austria4arigona.at ihre Stimme für Arigona und ihre Familie ab. Liebe Leserinnen und Leser, bitte tun das auch Sie und verbreiten Sie den Aufruf in Ihrem Freundeskreis.

Ich bitte alle um Entschuldigung, denen ich im vergangenen Jahr nicht helfen konnte; auch jene, die von mir noch den einen oder anderen Dienst erwartet hatten vor den Feiertagen – leider habe ich dann manches doch nicht mehr geschafft.

Unser Wartezimmer war auch die letzten Tage vor dem Jahresende voll mit verzweifelten Menschen, deren Recht gebrochen wird. Manchmal haben wir Erfolg, für viele andere können wir nichts mehr tun. Es ist oft ein Lotteriespiel – oder, schlimmer noch, russisches Roulette.

Immerhin, ein paar positive Bescheide kurz vor Jahresschluß verbessern noch ein bisschen unsere Bilanz: Endstand sind 41 gewonnene inhaltliche Verfahren und 50 „Dublin-Heber“.

So erhielt Frau B. aus dem Kongo vom Asylgerichtshof die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, das Berufungsverfahren dauerte mehrere Jahre. In ihrer Heimat beschuldigte man sie, in die Ermordung des Präsidenten Kabila verwickelt gewesen zu sein, weil sie das Kindermädchen eines der Putschisten war. Trotz sichtbaren Folterspuren hatte ihr das Bundesasylamt keinen Glauben geschenkt….

Auch Herr und Frau K. aus Tschetschenien haben wieder Asyl. Das hatten sie schon einmal, aber man hat es ihnen wieder weggenommen: Denn das Innenministerium (wo man wohl unterbeschäftigt ist und daher auf dumme Gedanken kommt) hatte gegen den positiven UBAS-Bescheid eine „Amtsbeschwerde“ eingebracht…

Woraufhin der Verwaltungsgerichtshof Herrn und Frau K.’s positive Bescheide behob. Der Asylgerichtshof (Richterin Scherz, Richter Kuzminski) entschied aber von neuem positiv. Ein Weihnachtswunder beinahe…

Herrn K.’s Bruder hingegen sitzt in einem polnischen Gefängnis. Er ist abgeschoben worden, obwohl er (vom UBAS zum Verfahren zugelassen!) anderthalb Jahre hier gelebt hat und sogar legal arbeitete. Das Asylamt meinte, die Bindung an seinen Bruder könne nicht so stark sein, denn beim Hausbesuch eines Polizisten sei er nicht anzutreffen gewesen, lediglich sein Wäschekoffer sei da gestanden. Aber – ob der wirklich seiner war? Das konnte der Polizist leider „nicht verifizieren“…

Also sei K.’s Bruder an diesem Tag wohl „flüchtig“ gewesen, daher habe man (eine Raffinesse des „Dublin“-Verordnung) die Frist zur Überstellung nach Polen (die eigentlich nur 6 Monate beträgt) auf 18 Monate verlängert.  

Obwohl er zum Verfahren längst zugelassen war und es gar keinen „Überstellungsversuch“ gab, dem er sich durch seine angebliche „Flucht“ hätte entziehen wollen! Und obwohl er nach diesem „Hausbesuch“ mehreren Ladungen Folge leistete und auch an seinem Arbeitsplatz den Behörden jederzeit „zur Verfügung“ stand…

Das Asylamt erließ einen neuen „Dublin“-Bescheid. Unsere Beschwerde wies Asylrichter Büchele, ohne irgendwie auf unsere Argumente einzugehen, ab. Herrn K.’s Bruder wurde nach Polen deportiert und dort in Schubhaft genommen; sein Arbeitsplatz in Österreich ist futsch, seine Existenz zerstört.

Ein unglaublicher Justizskandal, für den Büchele (von dem wir besseres erhofft hatten, weil er vor seiner Berufung in den Asylgerichtshof kein Bestandtteil des Asylsystems gewesen war) die volle Verantwortung trägt. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bereiten wir vor und werden, wenn es sein muß, bis nach Straßburg gehen.

Neulich war ein junger Mann aus Tschetschenien hier, er hat subsidiären Schutz, arbeitet fleißig und möchte studieren; jetzt ist seine Mutter nachgekommen, psychisch schwer krank, nach einem Selbstmordversuch, bei ihrem Sohn könnte sie vielleicht zur Ruhe kommen – aber nein, sie soll abgeschoben werden, nach Polen, wo Tschetschenen nicht sicher sind und es selbst für kranke Einheimische kaum Behandlungsmöglichkeiten gibt…

Herr Ch. und seine Frau hatten vom UBAS zwar nicht Asyl, aber wegen schwerer Traumatisierung wenigstens subsidiären Schutz erhalten. Jetzt verweigert das Asylamt Linz (unterzeichnet: Mag. Jungwirth Marlene, Tel. 059-13393-6444, sekr.bal@bmi.gv.at) die Verlängerung.

Es geht ihnen nämlich nach Meinung des Asylamtes mittlerweile schon zu gut, als daß sie dableiben dürften… Herr Ch. arbeitet seit einem Jahr, sein psychischer Zustand hat sich gebessert, weil er halbwegs zur Ruhe gekommen ist. Was sich nach dem Willen des Asylamtes aber jetzt schleunigst ändern soll!

Seine Frau leidet aber an Epilepsie und einer schweren psychischen Störung, hatte eine Fehlgeburt, hat (laut psychiatrischem Befund) „starke Angst vor fremden Männern“ wegen eines „belastenden Ereignisses“, an das sie sich aber nicht erinnern und über das sie nicht sprechen will… Einerlei! Sie muß weg.

Zum Jahreswechsel gedenken wir – stellvertretend für viele andere Opfer – jener Frau aus Tschetschenien, die sich in Vöcklabruck erhängte, um der Abschiebung nach Polen zu entgehen. Als sie hörte, ihre Verhaftung stehe bevor, befand sie sich, schwer krank, auf der Psychiatrie.

Frau Prokop, deren Gesetz alle diese Unmenschlichkeiten ermöglicht, ist nun seit zwei Jahren tot. Sie war austauschbar, sie wurde ersetzt; das verringert nicht ihre Schuld. Unser posthumer Rechtsstreit gegen sie zieht sich auch ins neue Jahr; Rechtsanwalt Dr. Weh hat für uns Beschwerden an den Obersten Gerichtshof und an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingebracht.

Damals, vor zwei Jahren, hat sich Spreu vom Weizen geschieden, auch innerhalb dessen, was sich „Zivilgesellschaft“ nennt. Wir danken allen denen, die in harten Zeiten an unserer Seite standen, und denen, die seither zu uns gestoßen sind. Wir vergessen aber auch keinen Lumpen, der uns damals verraten hat.

Wir stehen weiterhin für eine Politik der Null-Toleranz gegenüber allen rassistischen Elementen in der Politik und in der Beamtenschaft. Liebe Leserinnen und Leser, auf ein besseres neues Jahr!

Michael Genner,

Obmann von Asyl in Not

Spendenkonto:

Raiffeisen (Bankleitzahl 32000)

Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not

Für Überweisungen aus dem Ausland:

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www.asyl-in-not.org

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