Wir Achtundsechziger (Teil vier)

SPARTAKUS
Verfolgung und Kampf

1969 saß ich wegen eines Mediendelikts sechs Wochen lang in Untersuchungshaft im Wiener Landesgericht. In einem Flugblatt hatten wir Polizeibrutalitäten auf dem „Twenshop“, einer Verkaufsmesse für Jugendliche, kritisiert – und nicht bedacht, dass hierzulande (wie Karl Kraus sagte) jede Ironie kursiv gedruckt werden muß, damit man sie als solche erkennt:

„Habt ihr noch immer nicht verstanden? Entweder ihr kommt gar nicht mehr zum Twenshop –  oder ihr kommt bewaffnet.“ Immerhin waren Jugendliche von der Polizei – ohne ersichtlichen Grund – brutal zusammengeschlagen worden. Und wir stellten es den Leuten ja frei, ob und wie sie kommen wollten.

Der Text war nicht von mir, aber ich zeichnete als „Sitzredakteur“ verantwortlich. Jemand musste das tun, denn ohne Impressum wäre das Flugblatt ja – illegal gewesen… So legalistisch dachten wir tatsächlich. Ich war kurz zuvor großjährig geworden (mit 21 damals), also übernahm ich diesen Auftrag. Dafür klagte mich die Staatsanwaltschaft wegen „Verleitung zum bewaffneten Aufstand“ an.

Darauf konnten bis zu 20 Jahre stehen. Ein Haftbefehl wurde erlassen; ich stellte mich selbst den Behörden, denn ich wollte einen politischen Prozeß. Mein Untersuchungsrichter bei der ersten Einvernahme: „Eigentlich sind Sie mir ja ganz sympathisch. Als ich so jung war wie Sie, war ich auch noch ein Idealist. Ich war illegaler Nationalsozialist, in einer Zeit, wo noch fast niemand dabei war.“

Natürlich lehnte ich ihn wegen Befangenheit ab; er wurde aus meinem Verfahren entfernt. Solche Richter gab es viele in der zweiten, ach so demokratischen Republik. Der Staatsapparat war 1945 nicht gesäubert worden. Es herrschte eine ungebrochene antidemokratische Tradition.

Nach Protesten, Demonstrationen und einer von Christian Broda, Herta Firnberg und Alfred Ströer (SPÖ) eingebrachten parlamentarischen Anfrage wurde ich auf freien Fuß gesetzt. Den Prozeß vor einem Geschworenengericht nützte ich, um in meiner Verteidigungsrede unsere Ideen einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen.

Der Staatsanwalt, der mein ganzes politisches „Vorleben“ zum Beweis meiner Gefährlichkeit ausbreitete, gab mir die Gelegenheit dazu. Ich antwortete Punkt für Punkt, Peter Michael Lingens sprach im „Kurier“ von einem „abschließenden Duell zwischen Staatsanwalt und Angeklagtem“:

„Sein bester Verteidiger ist Genner selbst. Er spricht mit der traumwandlerischen Sicherheit des geübten Agitators. Er weiß, gleich einem Schauspieler, um seine Wirkung. Aber er hat doch auch Wesentliches zu sagen“… („Kurier“, 6.6.1970).

Das Medienecho war generell sehr schön, die Geschworenen sprachen mich vom Aufstand einstimmig frei, verurteilten mich aber in der Eventualfrage („Aufwiegelung zum Hasse oder zur Verachtung gegen die Staatsgewalt“) mit 6:2 Stimmen zu einem Monat Arrest, der durch die Untersuchungshaft verbüßt war.

Nicht lange danach hielten wir in Mürzzuschlag ein Sommerlager ab, besuchten die umliegenden Lehrwerkstätten und prangerten Missstände an: ungesetzliche Überstunden, Misshandlungen von Lehrlingen; gegen einen Fleischermeister, der seinen Lehrling mit einem Knochen geschlagen hatte, riefen wir die Kunden in Flugblättern, die wir vor dem Geschäft verteilten, zum Boykott auf.

Unsere Forderungen waren nicht besonders revolutionär; wir verlangten eigentlich nur die Einhaltung der Gesetze. Aber unsere Methoden waren unkonventionell. Daher suchten die kleinen Unternehmer im Mürztal einen Beschützer. Sie fanden ihn in einer Stütze der ehrenwerten Gesellschaft dieser Region: Norbert Burger, Geschäftsmann in Kirchberg am Wechsel, Ex-Südtirolterrorist und Möchtegern-„Führer“ der NDP.

Burger und etwa dreißig seiner Nazischläger überfielen unser Lager, als ich dort mit Helmut, einem Flüchtling aus Kaiser-Ebersdorf (dem berüchtigten Erziehungsheim), und einem Vierzehnjährigen Wache hielt, während alle anderen von uns auf einer Versammlung waren.

Eine nicht ganz unkritische Situation. Die Nazis begannen schon, Benzinkanister auf unsere Zelte zu schütten, um sie anzuzünden. Ich schickte den 14jährigen mit seinem Fahrrad rasch weg, die anderen holen; derweil hielten Helmut und ich die Stellung, oder versuchten es jedenfalls.

Der Nazi vor mir war einen Kopf größer als ich (oder kommt es mir nur in der Erinnerung so vor?), ich hatte auch keinerlei Kampfausbildung, aber ich wusste: Etwas musste jetzt geschehen, wenigstens symbolisch und um Zeit zu gewinnen. Daher schlug ich ihn von unten mit der Faust aufs Kinn. Er zeigte leider gar keine Wirkung, sondern starrte mich nur eine Weile mit hervorquellenden Augen an und brüllte dann: „Du Kommunistensau hast mi’ g’haut!“

Er versetzte mir einen Fußtritt, traf mich aber nicht, denn ich rollte mich weg, während Helmut wie ein Panther dazwischen sprang und gleich drei Nazis auf sich zog – aber dann waren zum Glück schon die unseren da, im Laufschritt über die Mürzbrücke, und es war interessant, wie rasch die Nazis auseinander liefen, als sie nur mehr gleich viele waren wie wir….

Sie bekamen die Prügel, die sie verdienten, einige schwammen durch die Mürz davon. Burger selbst (den seine Leibwächter im Stich ließen) und sechs andere nahmen wir gefangen und übergaben sie der Gendarmerie – die sie sofort freiließ und vor dem „Herr Doktor“ salutierte.

Etwas anderes erwarteten wir auch nicht von den Behörden dieses Staates. Immerhin – die Niederlage des berüchtigten Südtirolbombers in Mürzzuschlag war für die Kampfmoral der Nazis ein schwerer Schlag. Sie hielten sich dann für einige Zeit zurück. Freilich – nicht allzu lange. Mehr davon ein anderes Mal.

Michael Genner, Asyl in Not

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