Ein Bericht von Michael Genner
zum Tag der Menschenrechte, 10. Dezember 2011

Nicht nur die Judikatur mancher Teile des Asylgerichtshofes verwahrlost zusehends, wie wir neulich berichteten:
http://www.asyl-in-not.org/php/asylgerichtshof_linz,12304,29151.html.

Sondern leider ist auch im Denken und Handeln mancher NGO-Teile ein erschreckender Werteverfall festzustellen.

Im November war ich auf dem Asylforum, einer gesamtösterreichischen NGO-Konferenz, diesmal in Linz. Dieses Forum wurde 1994 gegründet und findet seither alljährlich statt. An der ersten Tagung hatten auch Vertreter des Innenministeriums teilgenommen; 1995 beschlossen wir, sie nicht mehr einzuladen, da das Forum der Entwicklung gemeinsamer Strategien der NGOs dienen  sollte.

Diesmal las ich zu meinem Erstaunen, daß zwei Vertreterinnen des Asylamtes als Referentinnen über „Aufgaben der Rechtsberatung“ auf dem Programm standen: Alexandra Ecker, Erstaufnahmestelle West, und Marlene Jungwirth, Asylamt Linz.

Weder in meiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied der Asylkoordination noch als Obmann einer nicht ganz unbedeutenden Mitgliedsorganisation war ich vorher gefragt worden, ob ich mit dieser Programmgestaltung einverstanden bin.

Irgendeine Begründung, wieso zwei Beamtinnen uns NGOs über unsere Aufgaben belehren sollten, wurde nicht gegeben. Ihre Vorträge waren auch kaum dazu angetan, meinen Horizont zu erweitern.

Absolut skandalös war aber, daß ausgerechnet Marlene Jungwirth für diese Aufgabe auserkoren worden war.

Diese Jungwirth ist unseren Leserinnen und Lesern wohlbekannt: Sie hat ein schwer traumatisiertes tschetschenisches Ehepaar (Malika und Rahman) und deren Kinder drei Jahre lang durch ein völlig rechtswidriges Aberkennungsverfahren gequält und hätte die Existenz dieser ohnedies leidgeprüften Menschen beinahe zerstört.

Rahman und Malika waren 2004 nach Österreich geflüchtet, wegen ihrer offenkundigen Traumatisierung (sie ist Vergewaltigungsopfer, ihm hatte man die Zähne eingeschlagen) hatte ich ihre Zulassung zum Verfahren rasch erkämpft – aber dann war ihnen Frau Jungwirth zugestoßen. Eine unendliche Geschichte…

Insgesamt dreimal wurden sie von Jungwirth aus Österreich ausgewiesen; dreimal wurde die Ausweisung dank meinen Rechtsmitteln behoben. Wegen ihrer schweren Traumatisierung hatte der UBAS ihnen subsidiären Schutz gewährt; Jungwirth nahm ihn ihnen immer wieder weg.

Jungwirth war es völlig egal, daß Rahman seit Jahren legal arbeitete. Ihretwegen hätte er die Arbeit beinahe verloren. Nur mit Mühe konnte man den Arbeitgeber überzeugen, daß Rahman trotz Aberkennung noch zur Arbeit berechtigt war. Jungwirth forderte immer neue Gutachten an, um endlich den gewünschten Befund zu erhalten:

nämlich daß es Malika und Rahman schon gut genug geht, um abgeschoben zu werden!

Nach jahrelangem Pingpong zwischen Asylamt und Asylgerichtshof habe ich dieses Verfahren heuer endlich zu einem guten Ende gebracht. Der Asylgerichtshof erklärte die Ausweisung für auf Dauer unzulässig. Die Familie ist nun zur Niederlassung in Österreich berechtigt und hat hoffentlich nie wieder etwas mit dieser Jungwirth zu tun.

Ich berichtete darüber im Internet:

(http://www.asyl-in-not.org/php/menschen_denen_wir_helfen_konnten,12304,28255.html)

Und ich hätte erwartet, daß daher eine Asylkoordination, die diesen Namen verdient, alles tut, um diese Jungwirth aus der Beamtenschaft zu eliminieren.

Stattdessen wurde uns diese Person nun als Vortragende präsentiert! Das war nicht zu tolerieren. Gleich nach ihrem belanglosen Statement meldete ich mich zu Wort:

„Frau Jungwirth, wie geht es Ihnen, wenn Sie einen Menschen kaputt machen? Geht es Ihnen gut dabei? Diese Frage ist mit ja oder nein zu beantworten.“

Jungwirth, völlig überfordert: „Diese Frage beantworte ich nicht.“

Ich antwortete: „Frau Jungwirth, ich ermittle gegen Sie wegen Ihrer Verstöße gegen das Menschenrecht. An diesem Verfahren haben Sie mitzuwirken. Erinnern Sie sich an Malika und Rahmat?“

Jungwirth, mit leiser Stimme: „Können wir das nicht in der Pause diskutieren?“ Ich: „Oh nein, darüber reden wir öffentlich. Und es ist auch keine Diskussion, sondern eine Befragung.“   

Ich benützte konsequent dieselben Begriffe („Befragung“, „Mitwirkungspflicht“) wie die Asylbehörden bei Einvernahmen; Jungwirth, die sich einen Augenblick lang in der Rolle ihrer Opfer wiederfand, schien den Tränen nahe.

Da kam ihr die andere Beamtin, die aus aus der Erstaufnahmestelle, tröstend zu Hilfe und sagte: “Wir gehen. Es wird zu emotional.“

Jungwirths tägliche Opfer (von denen ich so manche in meinem Beratungszimmer weinen sah) wären froh, könnten sie sich so einfach aus der Affäre ziehen.

Was mich am meisten bestürzt, ist aber, dass ich diese Sache alleine durchziehen mußte, dass mich niemand aus der versammelten Runde unterstützte. Offenbar war diese Jungwirth, und was sie den Flüchtlingen antut, den meisten Leuten dort ganz egal. Oder zumindest regte sich niemand genug auf, um etwas gegen ihre Anwesenheit zu tun.

Immerhin, ein Volkshilfekollege versicherte mir,  die oberösterreichischen NGOs seien in die Einladungspolitik nicht eingebunden gewesen; auch ihn habe es „gerissen“, als er den Namen Jungwirth auf dem Programmzettel las…

Ansonsten aber: peinliches Schweigen. Ein erschreckendes Symptom für einen Werteverfall innerhalb der NGO-Szenerie.

Immerhin sind in den vergangenen Jahren neue, junge Kräfte herangewachsen, die Aktionen durchgeführt und Abschiebungen verhindert haben. Sie waren offenbar zu diesem „Asylforum“ nicht eingeladen. Oder aber es hat sie (warum wohl?) nicht allzu sehr interessiert.

Es wird Zeit, die NGO-Szene gründlich aufzumischen, zu verjüngen und zu radikalisieren. Zeit wohl auch für einen Neustart der Asylkoordination.

Michael Genner

Obmann von Asyl in Not

Vorstandsmitglied der Asylkoordination Österreich

Träger des Menschenrechtspreises 2011 der Österreichischen Liga für Menschenrechte

Spendenkonto:

Raiffeisen (BLZ 32000),

Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not

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