Vor siebzig Jahren
Anschluß, Arisierung und Zwangsarbeit
März 1938: Der Sumpf an der Macht. Jubelnde Massen auf dem Heldenplatz. Die ersten Züge rollen aus Österreich nach Dachau. Eichmann in Wien. Der gesamte Apparat, wohl geübt darin, jede Freiheitsregung niederzumetzeln, läuft über zu den neuen Herren, mit denen so manche in der Polizei, in der Justiz, im Heer so lange schon sympathisierten.
Hinter den Kulissen werden Aktien verschoben. Abs in Wien. Anschluß der Creditanstalt an die Deutsche Bank… Kennen Sie sich noch aus? Eichmann ist doch irgendwie auch heute noch ein Begriff. Aber – Abs? Wer war das nur? Und was hat das mit uns zu tun?
Hermann Josef Abs stand fast vier Jahrzehnte ganz oben an der Spitze der Deutschen Bank. Seit 1938 gehörte er ihrem Vorstand an. Er war ihr Verbindungsmann zur Reichsregierung, er leitete ihre Auslandsabteilung und schaltete die Firmen in den angeschlossenen Ländern gleich. Er saß auch im Aufsichtsrat der „IG Farben“, einer der schlimmsten Sklavenhalterfirmen im Dritten Reich. 1976 ging er in Pension, aber noch kurz, bevor er 1994 starb, nannte man ihn „Deutschlands mächtigsten Mann“.
Der Chemiekonzern IG Farben hielt während des Zweiten Weltkriegs etwa 350.000 Zwangsarbeiter – unter anderem im firmeneigenen Auschwitz-Nebenlager Monowitz; seine Tochterfirma DEGESCH („Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“) lieferte Zyklon B für den Massenmord und häufte so enorme Kriegsprofite an. Aber davon hat Herr Abs doch sicher nichts gewusst…
Blicken wir ein wenig zurück: Abs war nicht der erste Führer der Deutschen Bank. Ihr Gründer (1870) war Georg von Siemens; zur selben Zeit gründete Bismarck das zweite Deutsche Reich. Die enge Verbindung von Finanzkapital und Industrie, wie die Familie Siemens sie verkörperte, bestimmte fortan die Geschäftspolitik der Deutschen Bank.
Emil Georg von Stauß (1920-1933 Vorstand, dann Aufsichtsrat der Deutschen Bank und Vizepräsident des Nazi-Reichstags) hatte (wie ein Großteil der deutschen Wirtschaft) den Aufstieg Hitlers maßgeblich unterstützt.
Von Stauß war schon einer der Baumeister der deutschen „Südoststrategie“ vor und im Ersten Weltkrieg gewesen. Er hatte vergebens versucht, der Deutschen Bank die Erdölquellen in Rumänien und am Persischen Golf zu sichern. Nach dem verlorenen ersten Krieg hatte er die deutsche Automobil- und Luftfahrtindustrie groß gemacht.
Seit 1930 Abgeordneter der Deutschen Volkspartei im Reichstag, gehörte von Stauß zu Görings besten Freunden und ebnete (politisch und finanziell) Hitlers „Machtergreifung“ den Weg.
Er starb 1942. Elektrokonzernchef von Siemens (dessen Firma Hitlers Aufstieg finanziert hatte und im Krieg unzählige Zwangsarbeiter ausbeutete) pries ihn als „einen Mann, dessen wirtschaftliche Unternehmungen stets von politischen Überlegungen getragen waren.“ Damals, im Krieg, war aber schon Hermann Josef Abs der starke Mann der Deutschen Bank.
Am 5. März 1938, ein paar Tage vor dem Einmarsch, nahm Abs erstmals an einer Sitzung des Aufsichtsrats der Creditanstalt teil. Die Deutsche Bank besaß einen Minoritätsanteil der Aktien der CA (13 %) und hätte gerne mehr davon gehabt. Wie Abs später berichtete, wurde dieser Wunsch „nicht einmal erörtert“. Wenige Tage später marschierten die Deutschen ein.
Bald darauf, am 26. März 1938, war Abs wieder in Wien. Deutsche Bank und CA unterzeichneten ein Dokument, demzufolge die Deutsche Bank „bereit“ war, einen Großteil der Aktien der CA zu übernehmen und „Berater“ zur Verfügung zu stellen, um die „Anpassung der Creditanstalt“ an die Veränderungen durch den Anschluß zu „erleichtern“.
Hat nicht gleich geklappt, denn die Aktienmehrheit der CA gehörte dem Staat Österreich, den es jetzt nicht mehr gab, und wurde nun einer Holding des deutschen Finanzministeriums (VIAG) übertragen. Aber schon im Dezember 1938 setzte Abs – auch gegen Teile der Nazipartei, die nicht gleich einsahen, wer hier das Sagen hatte – seinen Willen durch.
Die Deutsche Bank besaß nun 38 % der CA-Aktien, bildete mit der VIAG ein Konsortium und bestimmte den Kurs. Auch die Böhmische Unionsbank wurde ihrem Imperium angeschlossen. 1942 erhielt die Deutsche Bank weitere 25 % CA-Aktien und war nun Hauptaktionär.
Damals, auf dem Höhepunkt der deutschen Expansion, war die Deutsche Bank die größte Bank Europas. Sie kontrollierte die deutsche und europäische Industrie in einem bis dahin unbekannten Ausmaß.
Natürlich ging es 1938 nicht nur um die Aktienmehrheit einer (ehemals jüdisch geführten) Bank. Aber doch zu einem nicht unwichtigen Teil. Das rassistische Gejohle der Nazis interessierte Abs nur insoweit, als sie seinen Expansionsplänen nützten.
Von Wien aus bereitete Abs den Anschluß der Banken und Rohstoffe Südosteuropas vor. Die Deutsche Bank gehörte zu den großen Gewinnern der Arisierungen und der Sklavenarbeit. Dabei machte sich Abs die Finger nicht schmutzig: Die Nazis und die Wehrmacht erledigten für ihn die Drecksarbeit.
Auch die Niederlage Hitlers schadete ihm und seiner Bank nicht nachhaltig. Abs war drei Monate eingesperrt. Die US-Militärregierung in Deutschland (OMGUS) – deren Arbeitsgruppe „Deutsche Bank“ aus jüdischen Flüchtlingen und progressiven Historikern bestand – empfahl, die Deutsche Bank zu liquidieren und ihre verantwortlichen Mitarbeiter als Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen.
Aber der Wind drehte sich rasch. Im Kalten Krieg waren Amerika und Westdeutschland Verbündete gegen die „rote Gefahr“…
Abs war die dominante Figur der deutschen Wirtschaft – und somit auch der deutschen Politik, all die Jahre und Jahrzehnte lang. Er war nie bei der NSDAP und auch später bei keiner anderen Partei. Das hatte er nicht nötig, er war auch so mächtig genug.
Er war einer der Baumeister des neuen vereinten Europa unter deutscher Hegemonie. Unter ihm dienten die deutschen Kanzler Adolf Hitler, Konrad Adenauer und Willy Brandt. Die Kanzler kamen und gingen; das Imperium der Deutschen Bank wuchs und gedieh.
Genauso wenig änderte sich in der Justiz und in der Polizei. Mehr davon ein anderes Mal.
Michael Genner
Asyl in Not
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