Verfassungsgerichtshof:

Ein Teilerfolg.
Aber kein Grund zum Jubeln

Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden: Es gibt ein Bleiberecht. Es gibt Kriterien dafür. Und es muß ein individuelles Antragsrecht geben, mit Instanzenzug. Das ist gut so. Das ist eigentlich nur selbstverständlich. Damit Rechtsansprüche, die selbstverständlich sind, durchgesetzt werden, bedarf es in diesem Land manchmal eines höchstinstanzlichen Richterspruchs.

Der Verfassungsgerichtshof hat – weniger beachtet – einen (in der Praxis kaum angewendeten) Paragraphen im Asylgesetz geändert. Bekanntlich hatte Liese Prokop die (europaweit vorbildliche) Schutzklausel für Traumatisierte und Folteropfer abgeschafft. Dafür gibt es einen kleinen, erbärmlichen Ersatz:

Wem es dreckig genug geht, dass ihn der Vollzug der Abschiebung so sehr traumatisiert, dass es der Folter gleichkommt, der bekommt – vielleicht, wenn er Glück hat, wenn er zum richtigen Gutachter kommt – einen Aufschub. Auf ein paar Monate. Und nicht verlängerbar.

Letzteres hat das Höchstgericht jetzt gekappt. Der Aufschub muß verlängerbar sein. Anlaß war unser Klient, Herr J., ein alter Herr aus Tschetschenien. Er ist ganz still, in sich versunken, vor meinem Schreibtisch gesessen. Mit seinem Sohn, der in Vorarlberg lebt und bei dem er bleiben wollte. Aus dem Befund von Erwin Klasek, Psychotherapeut:

„Herr J. leidet an einer schweren post-traumatischen Belastungsstörung (ICD10: F43.1) im Übergang zu F 62.0 – schwere andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung.“

Sogar die Erstabschiebestelle in Thalham entschied, dass Herr J. zwar abgeschoben werden solle, aber nicht sofort. Sondern erst nach ein paar Monaten. So gnädig können sogar österreichische Beamte ausnahmsweise sein.

Meine Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat ab. Dagegen hat Rechtsanwalt Dr. Pochieser Beschwerde erhoben; der Verfassungsgerichtshof hat nun entschieden und ein paar Wörter in diesem Paragraphen behoben, sodaß der Aufschub nun auch verlängert werden kann.

Und wenn der Aufschub vielleicht gar länger dauert als sechs Monate, dann tritt „Dublin“ außer Kraft. Verzeihen Sie den Jargon: Dann kann der Flüchtling nicht mehr abgeschoben werden in den anderen, angeblich sicheren Staat. Weil der dann nicht mehr zuständig ist.

Das ist eine kleine Verbesserung, und zu diesem Erfolg hat Asyl in Not beigetragen. Wir haben den Anlassfall zum Höchstgericht gebracht. Aber – was schreib’ ich denn da? Ist das denn ein Erfolg? Wo ein schwer kranker Mensch immer wieder durch Untersuchungen gequält wird, um festzustellen, ob man ihn endlich loswerden kann?

Wo die Ärzte, die das Ministerium bezahlt, die bestellten „Befunde“ schreiben, die der Brötchengeber sich wünscht? Und wir Gegengutachten anfordern müssen, um das Schlimmste zu verhüten, Pinpongspielen mit Befunden, bis wir vielleicht über der Sechsmonatshürde sind? Warum lässt man diese armen, kranken Menschen, die schon genug mitgemacht haben, nicht einfach in Ruhe, bei ihren Familien in Österreich?

Nein, das ist kein Erfolg. Und wenn es einer ist, dann schämen wir uns seiner. Denn der Kern des Prokop-Machwerks steht unverrückbar fest. An ihm rüttelt auch nicht der angeblich so gute Verfassungsgerichtshof:

Der Kern: Das ist „Dublin“ – die permanente Schutzverweigerung; die Zerreißung der Familien. Und vor allem: § 76 – der Schubhaftparagraph. Asylwerber verschwinden hinter Gittern, gleich nach ihrer Flucht, egal wie schlecht es ihnen daheim ergangen ist, wie sehr sie gefoltert wurden, wie traumatisiert sie sind. Damit man sie abschieben kann in angeblich „sichere“ Staaten irgendwo am Rand der Festung Europa, wo sie keine Chance haben auf ein faires Verfahren.

Dagegen kämpfen wir, dagegen haben Julia Kux und ich unzählige Beschwerden eingebracht – aber genau da hat der Verfassungsgerichtshof kläglich versagt. Er hat den falschen Paragraphen behoben. Diesen Folterparagraphen hat er gelassen, wie er war. Er gilt weiterhin. Er ist die größte Schande für diesen rassistischen Staat.

Michael Genner

Asyl in Not

Währingerstraße 59

1090 Wien

Tel. 408 42 10-15; 0676 – 63 64 371

office@asyl-in-not.org

www.asyl-in-not.org

ZVR: 723727354

Spendenkonto:

Raiffeisen (Bankleitzahl 32000)

Kontonummer 5.943.139 (Asyl in Not)

Terminankündigung:

Dienstag, 6. November, 19:00,

Amerlinghaus, Stiftgasse 8, 1070 Wien

Vortrag von Michael Genner & Publikumsdiskussion:

Deportation oder Abschiebung

Kunstauktion – Nachverkauf:

Einige schöne, wertvolle Werke haben noch keinen Käufer/keine Käuferin gefunden. Sie werden noch einige Zeit zum Nachverkauf (zu den Rufpreisen) zur Verfügung stehen und sind auf der aktualisierten Homepage www.kunstasyl.at unter „Katalog“ zu sehen.

Bestellungen richten Sie bitte telefonisch an Paul Bauer (0699 – 138 45 000) oder per Email an office@kunstasyl.at.

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