Stellungnahme zur Änderung des Bundesgesetz, mit dem das Asylgesetz 2005 geändert wird (167/A XXVIII. GP)

Allgemeine Einleitung

Mit anhaltender Enttäuschung liest Asyl in Not diesen Vorschlag zur erneuten Reform des österreichischen Asylrechts. 

Die vorgelegte Gesetzesänderung ist im Allgemeinen aufgrund der mangelnden Umsetzung bestehender europarechtlicher Richtlinien und der Schwere der – sachlich nicht oder falsch begründeten – Eingriffe in verfassungsrechtlich gesicherte Verfahrensgarantien zu kritisieren. 

Festzuhalten ist, dass diese Gesetzesvorlage dazu abzielt, die bereits vom Innenministerium per Weisung durchgeführten Entscheidungen wie etwa der Aussetzung der Asylverfahren zu Syrien im Nachhinein zu legitimieren.

Schon die Weisung des Innenministeriums entbehrt jeglicher sachlichen Grundlage. Die Gesetzesvorlage erweckt daher den Anschein, lediglich dem Schutz der einzelnen handelnden Beamten und Minister zu dienen, die sich gegenüber Vorwürfen des Amtsmissbrauchs und der Willkür absichern möchten, statt eine legitime Reform des österreichischen Asylrechts darzustellen.

Auf diese Weise untergräbt die fragliche Reform nicht nur das internationale Menschenrecht und das Recht auf Familienleben, welches in Österreich durch die Europäische Menschenrechtskonvention verfassungsmäßig geschützt ist, sondern auch das Recht auf Familienzusammenführung, welches im europäischen supranationalen Recht klar anerkannt ist.

Besonders frauenpolitisch bildet diese vorgeschlagene Gesetzesänderung einen gravierenden Einschnitt in den Schutz (gewaltbetroffener) Frauen und Mädchen. 

Die Familienzusammenführung ist nämlich für Frauen und Mädchen DIE sicherste Form der Migration und schützt damit die Leben etlicher, oft gewaltbetroffener Frauen.

Diesen Schutz auszusetzen bzw. abzubauen wird in direkter Folge zu einem Anstieg an Gewalt gegen diese Frauen führen, die nun wieder gezwungen sind, die gefährlichsten Fluchtrouten in Kauf zu nehmen, um ihr Recht auf Familienleben in Anspruch zu nehmen.

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung lässt weder auf einen effizienteren Ablauf der Familienzusammenführung in Zukunft schließen, noch bietet sie eine Lösung für die bereits eingeleiteten Verfahren, die damit nicht mehr zum Abschluss kommen werden. Es lässt sich auch nicht erkennen, inwiefern einige hundert oder gar tausend Familienmitglieder pro Quartal, das österreichische Asylwesen oder die Ordnung oder die Sicherheit oder die Öffentlichkeit derart gefährden, dass ein solcher Einschnitt in das Recht auf Familienleben gerechtfertigt wäre. 

Den vorgeschlagenen Bestimmungen sei vorausgeschickt:

In der Rechtssache C‑72/22 PPU betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht von Litauen) mit Entscheidung vom 2. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Februar 2022, in dem Verfahren M.A. vs Valstybės sienos apsaugos tarnyba (30.06.2022) hat der EU Gerichtshof Artikel 72 AEUV ausgelegt:

„69      Nach Art. 72 AEUV berühren die Bestimmungen von Titel V des Dritten Teils des AEU-Vertrags nicht die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit.

70      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es zwar Sache der Mitgliedstaaten ist, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die öffentliche Ordnung in ihrem Hoheitsgebiet sowie ihre innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten, doch bedeutet dies nicht, dass solche Maßnahmen der Anwendung des Unionsrechts völlig entzogen wären. Der AEU-Vertrag sieht nämlich, wie der Gerichtshof entschieden hat, ausdrückliche Abweichungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit nur in ganz bestimmten Fällen vor. Aus ihnen lässt sich kein allgemeiner, dem AEU-Vertrag immanenter Vorbehalt ableiten, der jede zur Wahrung der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit getroffene Maßnahme vom Anwendungsbereich des Unionsrechts ausnähme. Würde ein solcher Vorbehalt unabhängig von den besonderen Tatbestandsmerkmalen der Bestimmungen des AEU-Vertrags anerkannt, könnte dies die Verbindlichkeit und die einheitliche Anwendung des Unionsrechts beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Ungarn [Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen], C‑808/18, EU:C:2020:1029, Rn. 214).

71      Außerdem ist die in Art. 72 AEUV vorgesehene Ausnahme eng auszulegen. Daraus folgt, dass er nicht als Ermächtigung der Mitgliedstaaten verstanden werden darf, allein unter Berufung auf ihre Zuständigkeiten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit von den Bestimmungen des Unionsrechts abzuweichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Ungarn [Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen], C‑808/18, EU:C:2020:1029, Rn. 215).“

Das Projekt verfolgt genau den entgegengesetzten Ansatz zur europäischen Rechtsprechung:

Zu den Bestimmungen

X. Im Inhaltsverzeichnis entfällt im Eintrag zur Überschrift des 5. Abschnitts des 4. Hauptstücks die Wortfolge „während der Durchführung von Grenzkontrollen“

Die verfassungsrechtlich bereits fragliche Vertretbarkeit der aktuell gültigen Form der Sonderbestimmungen unter 5. Abschnitt 4 Hauptstück

ist durch die Eingrenzung des Geltungsbereichs „während der Durchführung von Grenzkontrollen“ bisher wenigstens in ihrer Willkürlichkeit begrenzt worden. 
Dieser Schutz vor Willkür fällt durch die vorgeschlagene Streichung der Eingrenzung des Geltungsbereichs vollkommen weg.

Eine sachliche Begründung für diese gravierende Änderung sucht man vergeblich. 

Aus diesem Grund wird die Änderung abgelehnt, die sogar zu einer expansiven Auslegung der Einschränkungen der inneren Sicherheit und der öffentlichen Ordnung tendiert, entgegen der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs, der eine restriktive Auslegung verlangt.

„1a) In der Verordnung der Bundesregierung (Abs. 1) ist festzulegen, welche Regelungen dieses Abschnittes während ihrer Gültigkeitsdauer Anwendung finden. Finden während der Gültigkeitsdauer der Verordnung Grenzkontrollen an der Binnengrenze nicht oder nur an bestimmten Abschnitten statt, so ist ausschließlich § 36a anwendbar.“ 

Die Einfügung des Absatzes 1a in § 36 AsylG wird abgelehnt.  Da es um den Zugang zum Asylrecht geht, muss die Bestimmung der Fälle, in denen Einschränkungen vorliegen können, klar und eindeutig gesetzlich geregelt sein. Auch die Bestimmung der Fälle, in denen eine Gefahr für die innere Sicherheit oder die öffentliche Ordnung besteht, muss gesetzlich und im Einklang mit dem europäischen Recht und den Menschenrechten restriktiv ausgelegt werden. Daher wird die Einfügung dieses Absatzes abgelehnt.

Zur Bestimmung §36a

Stellung von Anträgen auf Einreise gemäß § 35

§ 36a. (1) Der Lauf der Frist und die Pflicht zur Entscheidung über Anträge gemäß § 35 sind während der Gültigkeitsdauer einer Verordnung der Bundesregierung nach § 36 Abs. 1 gehemmt, soweit in Abs. 2 nichts anderes bestimmt ist.

(2) Die Hemmung gemäß Abs. 1 tritt nicht ein, wenn eine Erledigung des Antrags innerhalb von sechs Monaten (§ 73 Abs. 1 AVG) gemäß Art. 8 EMRK (§ 9 Abs. 2 BFA-VG) zwingend geboten ist.

(3) Die für den Entfall der Hemmung nach Abs. 2 sprechenden Gründe sind bereits in dem Antrag auf Einreise gemäß § 35 genau zu bezeichnen.

(4) Die Minderjährigkeit der Person, von welcher der Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten im Familienverfahren (§ 34) abgeleitet werden soll (§ 35 Abs. 5 erster Fall), ist anhand des Zeitpunktes des Antrages gemäß § 35 zu beurteilen.

Die Ergänzung des § 36a AsylG wird als völlig unnötig, kontraproduktiv und europa- und menschenrechtswidrig abgelehnt.

Zusätzlich zur Frage des Gleichheitsgrundsatzes untergräbt diese Regelung im Entwurf das Recht auf Familienzusammenführung und überlässt sie den Beamten, die über die vollständige Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des Zeitrahmens für die Entscheidungsfindung verfügen. Darüber hinaus verzerrt die Gesetzesbegründung den Inhalt der Regelungen zur Familienzusammenführung, der darauf hinweist (Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, Artikel 5 Abs 4:

„(4) Die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats teilen dem Antragsteller ihre Entscheidung unverzüglich, spätestens aber neun Monate nach Einreichung des Antrags schriftlich mit.

In Ausnahmefällen kann aufgrund der Schwierigkeit der Antragsprüfung die in Unterabsatz 1 genannte Frist verlängert werden.

Eine Ablehnung des Antrags ist zu begründen. Ist bei Ablauf der Frist nach Unterabsatz 1 noch keine Entscheidung ergangen, so richten sich etwaige Folgen nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats.“

„Unverzüglich, spätestens aber neun Monate nach Einreichung des Antrags“ ist klar genug. Fristverlängerungen müssen in schwierigen Fällen von Fall zu Fall und nicht willkürlich durch nationale Behörden erfolgen.  Der Gesetzesentwurf kehrt die Situation um und verlangt von der Person, die den Antrag stellt, gegenüber Behörden zu begründen, dass sie die gesetzliche Frist einhalten muss. Dies ist absurd und stellt eine unverhältnismäßige Belastung für Menschen dar, die Sicherheit und Schutz suchen.

Aus diesen Gründen ist Abs. 27 zu § 73 AVG völlig unnötig.

„(28) In Verfahren nach § 35, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Verordnung der Bundesregierung nach § 36 Abs. 1 bereits anhängig waren, gilt § 36a Abs. 3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. XX/2025 mit der Maßgabe, dass die für den Entfall der Fristenhemmung sprechenden Gründe ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber in der Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) – nach vorheriger Rechtsbelehrung gemäß § 13a AVG – genau zu bezeichnen sind.“

Abs. 28 zu § 75 AVG ist verfassungswidrig, da er darauf abzielt, die Verfassungsnorm zu Säumnisbeschwerden für Familienzusammenführung durch ein Gesetz auszuhebeln und Rückwirkung zu verleihen:

Zusammenfassend

Die neue Regierung lässt die Chance auf eine echte und nachhaltige Verbesserung der österreichischen Asylverfahren ungenutzt. Besonders enttäuschend und unkreativ ist der Versuch, mit dieser Gesetzesänderung das demokratiepolitisch irrsinnige Vorgehen des Innenministeriums im Nachhinein zu legitimieren, das im Alleingang während aufrechter Koalitionsverhandlungen und ohne legitime Rechtsgrundlage die Asylverfahren zu Syrien aussetzte, um damit durch die Hintertür den (vielfach längst eingeleiteten) Familiennachzug hunderter Syrer:innen zu verhindern und zu sabotieren.

Ein akuter Personalmangel in allen relevanten Bereichen des Staates und ein von der vorigen Regierung erzeugtes Budgetdefizit sind deutliche Indikatoren der Staatskrise, in der wir uns befinden und Teil der Defizite im exekutiven und legislativen Bereich, der weder von Asylsuchen ausgelöst noch im numerisch relevanten Bereich beeinflusst werden kann. 

Jedenfalls ist dies keine legitime Grundlage für den Abbau an Rechten und Verfahrensgarantien, die die Sicherheit, das Leben, die Würde und das Recht auf Familienleben von Menschen betrifft, zu deren Schutz sich Österreich verpflichtet hat.

Woran ein Notstand festgemacht wird, wo er objektiv beginnt und endet, sind nicht weder ausreichend definiert noch nachvollziehbar.

Es ist nicht richtig, dass „ein solcher Notstand nicht bestehen oder nachgewiesen werden muss.“

Der Gesetzentwurf versucht schlicht das im europäischen Recht und den internationalen Menschenrechten verankerte Recht auf Familienzusammenführung auszuhebeln und es der Politik zur freien Entscheidung zu überlassen, inwieweit ein solches in Zukunft noch gewährt wird.  
Anstatt Reformen durchzuführen, die darauf abzielen, Beamte besser auszubilden, damit sie Asylanträge objektiv und im Einklang mit den oben genannten Standards und Mindestprinzipien der Menschlichkeit, Geschlechtersensibilität und Antirassismus bearbeiten, wird Müttern, Vätern und Kindern der Zugang zum Asyl leider nahezu unmöglich gemacht. Ein tragisches Beispiel für die Nutzung des Rechtssystems für populistische politische Zwecke.

Wir bezweifeln stark, dass diese Gesetzesvorlage einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhält, in einer moralischen Prüfung versagt sie jedenfalls.

weiterführende Links:
https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVIII/AUA/1?selectedStage=101

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