Dienst nach Vorschrift

So, hat sich die Aufregung gelegt? Dann kann es ja wie bisher weitergehen. Glauben manche. Dienst nach Vorschrift. Menschen werden abgeführt. In Handschellen, ins Gefängnis. Menschen, die nichts verbrochen haben. Haft ohne Urteil, ohne Delikt.

Wie die 53jährige schwerkranke Tschetschenin Maus. Die nur zu ihrer Tochter Madina wollte, Madina ist hier in Österreich als Flüchtling anerkannt, auch sie ist psychisch schwer bedient, hat Depressionen, sie und die Mutter könnten einander Halt geben, Madina hat eine Wohnung, die Mutter könnte da wohnen, auf die Kinder aufpassen ein bißchen wenigstens. Aber nein. Wir leben – auch noch posthum – im Prokopland.

Maus sitzt im Polizeigefängnis Rossauerlände. Ihre Tochter wollte sie besuchen. Aber Maus war zu schwach, um aufzustehen. Sie bekommt Tropfen gegen den Bluthochdruck. Aber was nützt das schon. Wie soll man gesund werden, wenn man schuldlos im Gefängnis sitzt?

Maus hat mir Vollmacht erteilt. Ich habe eine Schubhaftbeschwerde eingebracht, an den „Unabhängigen“ Verwaltungssenat Wiener Neustadt, der noch nie einer Haftbeschwerde stattgegeben hat in den letzten Jahren. Er wird auch diese Beschwerde abweisen, wir werden zum Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof gehen, wie immer.

Im Gefängnis sitzt auch Salambek, 29 Jahre alt, schwer gefoltert von den russischen Besatzern: mit Handschellen an der Decke aufgehängt, Folter mit Strom, Schläge in den Unterleib… Er kann nur schwer einschlafen, wacht bald „von diesen Träumen“ auf, wacht dann schweißgebadet auf, starke Herzklopfen, Angstzustände; manche Erinnerungen überfallen ihn immer wieder…

Der Verein Hemayat, der seit Jahren Folteropfer und Kriegsüberlebende betreut, hat Salambek untersucht und die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung infolge serieller Traumatisierungen gestellt. Bei förderlichen Bedingungen (emotionale und rechtliche Sicherheit, traumaverarbeitende Psychotherapie) könne mit einer relativen Rehabilitierung gerechnet werden. Andernfalls sei mit einer bleibenden Persönlichkeitsveränderung zu rechnen.

Im Gefängnis sitzt auch der 20jähige Tschetschene Usman T. Auch für ihn gibt es einen Befund, Erwin Klasek, Psychotherapeut bei Hemayat, ein bekannter Experte, hat ihn verfasst; auch bei ihm lautet die Diagnose: Post-traumatische Belastungsstörung im Übergang zur andauernden Persönlichkeitsveränderung.

„Zu den Symptomen, zusammengefasst: Panik durch ‚Trauma-assoziierten Stimulus’, reduzierte Fähigkeit zur Alltagsbewältigung, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Intrusionen. Herr T. setzt sich, wirkt schlaff, der Blick leer, der mimische Ausdruck starr. Auf der Straße habe er einen Polizisten gesehen, und da sei sein Körper kalt und steif geworden. Die Füße seien jetzt noch kalt, wie taub.

„Sein Bruder begleite ihn immer, er schaffe nichts mehr alleine. Er habe zu viel gesehen, trage zu viel in sich. – Konkreter? – Er vergesse alles, verliere die Orientierung. Er werde oft von Erinnerungen abgelenkt. Zum Beispiel sehe er oft, ob er wolle oder nicht, das Bild des ermordeten Vaters vor sich.

„Nervosität (Hyper arousal), Schlafstörungen, irrationale Angst, Somatisierung: Gestern habe er zehn Minuten nach sechs auf die Uhr geschaut. ‚Sie’ kämen stets in den Morgenstunden. Obwohl es nicht logisch sei, habe er oft Angst, daß ‚sie’ vor der Türe stünden.

„Er habe öfter Träume, die ihn weckten. – Albträume? – Nicht immer. Oft sehe und höre er seine verstorbene Mutter, die ihm sage, was im Leben richtig sei. Er habe aber auch die Leichenteile seiner Nachbarn auf einer Plastikplane ausgebreitet und richtig zugeordnet. Und das sehe er auch immer wieder im Traum.“

Unter „Prognostische Erwägungen“ heißt es weiter im Befund:

„Im allgemeinen kann unter förderlichen Bedingungen (emotionale wie rechtliche Sicherheit, konsequente traumaverarbeitende Psychotherapie ohne zeitliche Beschränkung) bei PTSD mit einer relativen Rehabilitierung gerechnet werden. Andernfalls ist mit einer Chronifizierung im Sinne einer bleibenden Persönlichkeitsveränderung (Depression, Antriebsarmut, Perspektivlosigkeit, sozialer Rückzug, erhöhtes Risiko von Suizid und Substanzabhängigkeit) zu rechnen.

„Herr T. wäre für den Fall der Ignoranz seiner besonderen Schutz- und Schonungsbedürftigkeit einem Risiko der weiteren, anhaltenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und von verstärkter Suizidalität ausgesetzt.“

Auch in diesem Fall habe ich eine Haftbeschwerde eingebracht. Ich habe geltend gemacht, daß mein Mandant haftunfähig ist und daß jeder Tag seiner Inhaftierung unmenschliche Behandlung, ja Folter im Sinne des Artikels 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist.

Diese drei unglücklichen Menschen sind Opfer jenes Gesetzes, das – von breiter Mehrheit beschlossen – am 1. Jänner 2006 in Kraft getreten ist und als „Prokopgesetz“ in die Geschichte eingehen wird. Mit diesem Unrecht schließen wir keinen Frieden. Die Menschenrechte müssen wieder gelten in diesem Land.

Michael Genner

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