Emotionalität der Richter_innen
Ein Bericht von Rechtsberaterin Mag.a Deniz Güzgün
Im Asylverfahren ist es oft schwierig, Beweismittel wie Gerichtsdokumente und Zeitungsberichte zu beschaffen, da die Verfolgung, vor der die Antragssteller*innen flüchten nicht immer dokumentiert ist. Die Asylwerber*innen müssen ihre Fluchtgründe jedoch plausibel glaubhaft machen können.
Hier kommen zwei Gegebenheiten ins Spiel: Die Glaubhaftigkeit des Vorbringens und die persönliche Glaubwürdigkeit der Asylwerber*in. Darüber wird in der richterlichen Beweiswürdigung entschieden.
Der Anspruch, dass Richter*innen immer nur sachlich entscheiden, erscheint jedoch in der Praxis eine Illusion zu sein. Anstelle von Sachlichkeit dominiert im Gerichtssaal immer wieder Subjektivität und Emotionalität.
In unserer Arbeit müssen wir uns deshalb manchmal Praktiken einfallen lassen, um uns zu behelfen: Ich persönlich führe z.B. eine laufende Liste, in der ich Richter*innen, wie ich sie in einer Verhandlung erlebt habe, beschreibe. Ich notiere mir, wie sie in vorherigen Fällen entschieden haben und wie sie sich verhalten haben. Bei vielen Richter*innen ist eine Grundstimmung abzulesen.
Einige negative, aber auch positive, Beschreibungen aus dieser Liste sind (anonymisiert) zum Beispiel:
- Unser Superman
- Rassistin; schaut sich den Klienten nicht mal richtig an, voreingenommen, verkündet gerne sofort negativ
- Grundeinstellung: Skeptisch-negativ, allergisch gegen Konversion.
- Fair, strikt, sehr genau, grundsätzlich neutrale Haltung
- Wird schnell überfordert von kleinem Chaos, schimpft und tadelt.
- Hat gute Intuition und wird nicht an unnötigen Stellen skeptisch.
- Aufbrausend, impulsiv, verliert schnell die neutrale Haltung. Ist mir böse, weil ich die schriftliche Ausfertigung des negativ verkündeten Erkenntnisses verlangt habe. Hoffe, er vergisst mich bald.
Das darf nicht so sein! Wir als Rechtsberater*innen sollten keine solche Listen führen müssen, um uns auf Verhandlungen vorzubereiten. Die momentane Emotionalität der Richter*innen, ihre Einstellungen und Persönlichkeit darf für den Verlauf und den Ausgang der Verhandlung keine Rolle spielen.
Ein Fallbeispiel:
Auch im Fall von Hassan*, dessen Beschwerde auf Asyl abgewiesen wurde, haben wir in der mündlichen Verhandlung leider eine solche Emotionalität des Richters beobachten müssen.
Hassans Vater war Militärangehöriger. Deswegen und aufgrund seiner blonden Haare und grünen Augen stand er im Fokus der Taliban, wurde entführt, vergewaltigt und missbraucht. Er hat sich nicht getraut, das in seiner ersten Einvernahme zu erzählen. Alles steht aber im Detail in einem psychotherapeutischen Befundbericht. Er ist in Österreich konvertiert. Er hat sich von der Religion, die ihm so viel Leid gebracht hat, abgewandt. Außerdem spielt er in vielen politischen und islamkritischen Theaterstücken mit.
Hassan hatte also viele Asylgründe, die wir alle in der mündlichen Verhandlung vorbrachten. Dem Richter waren es aber zu viele. So viel wohlbegründete Furcht vor Verfolgung kann man ja nicht haben!
Auch wenn es viele Gründe gibt, sollte man sie lieber für sich behalten, sonst wird einem Unglaubwürdigkeit unterstellt! Das war schließlich die Botschaft hinter der negativen Entscheidung seines Richters, der während der Verhandlung immer cholerischer wurde. Nach Abschluss des Beweisverfahrens stehen wir alle auf, und der Richter verkündet: Kein Asyl.
Nachdem die Verhandlung mit der Verkündung geschlossen wurde und kein Protokoll mehr geführt wurde, zeigte er sein wahre Einstellung und brüllt Hassan kochend vor Wut ins Gesicht: „Sie haben vorgebracht, sie wären vergewaltigt, konvertiert, verwestlicht, ihr Vater wäre beim Militär…. ICH GLAUB IHNEN KEIN WORT!”
Wir fordern: Verhandlungen im Beisein von Sachverständigen
Niemand würde von einem*r Richter*in beispielsweise in einer Streitsache über Immobilien oder KFZ verlangen, selbst die Lage einschätzen zu können. In solchen Fällen werden stets Sachverständige zugezogen, um die Situation fachlich richtig und emotional neutral beurteilen zu können. Wir fordern die gleichen Maßnahmen auch im Asylverfahren!
Richter*innen sind keine Psycholog*innen/Psychotherapeut*innen, die Traumata beurteilen können.
Auch sind sie keine Ländersachverständigen, die über alle politischen und kulturellen Feinheiten Bescheid wissen, welche wesentlich sind, wenn man über die persönliche Glaubwürdigkeit eines/r Asylwerber*in entscheiden muss. Sie sind keine Militärstrateg*innen, die Kampftaktiken und Routen einschätzen können. Ohne dieses Wissen sind die Richter*innen auf ihr „Bauchgefühl“ angewiesen und dieses ist sehr eng verbunden mit ihrer Lebenswelt, Emotionalität und ihren persönlichen Einstellungen. Dies macht eine sachliche Entscheidung unmöglich.
Um den oben beispielhaft gezeigten Einfluss der Emotionalität in den entscheidenden Instanzen zu verringern, verlangen wir daher, dass mündliche Verhandlungen im Beisein von Sachverständigen/ Fachkundigen geführt werden.
Aufruf zur Prozessbeobachtung
Weiters rufen wir auch Sie, liebe Lesende, direkt dazu auf, Gerichtsverhandlungen als Beobachter*innen zu besuchen. Wir denken, dass es dem Auge der Öffentlichkeit bedarf, und dass Richter*innen sich beobachtet fühlen müssen.
Melden Sie sich unter office@asyl-in-not.org mit dem Betreff “Prozessbeobachtung”!
Viele Beamte und Angestellte des Rechtsapperats sind sich zu sicher, dass ihre teilweise beleidigenden und diffamierenden Äußerungen die Einvernahmeräume und Gerichtssäle nicht verlassen werden.
Wir fordern mit Objektivität und Sachlichkeit geführte Verhandlungen. Wir stehen dabei und schauen ihnen auf die Finger, denn das Recht auf eine solche gerechte Verhandlung ist das mindeste, das Asylbewerber*innen zusteht.
*Name geändert