Prozess Josef S.: eine Justizfarce
Josef S. weiter in Haft
Der Prozeß gegen Josef S. hat vergangenen Freitag, am 6. Juni 2014, begonnen. Ich habe auf Ersuchen des AK Grundrechte als Prozeßbeobachter daran teilgenommen. Josef ist weiter in Haft, obwohl die Unglaubwürdigkeit des einzigen Belastungszeugen offen zutage getreten ist. Offenbar will ein Teil der Justiz einen prolongierten Skandal.
Josef wird einerseits vorgeworfen, „Rädelsführer“ deutscher Gewalttäter bei der Demonstration gegen den Naziball gewesen zu sein, anderseits aber nahezu alle von der Polizei behaupteten Gewalttaten allein verübt zu haben.
Es gibt viele Videos über diese Demonstration, aber Josef ist auf keinem dieser Videos bei der Ausübung einer Gewalttat zu sehen. Einmal sieht man ihn allerdings, wie er einen Mistkübel – nicht etwa auf Polizisten wirft, sondern ihn offenbar, nachdem er auf dem Boden gelegen war, wieder aufstellt…
Ein einziger Polizist belastet ihn. Dieser Beamte hatte sich, schwarz gekleidet und vermummt, unter die Demonstranten gemischt und sich dabei so verdächtig benommen, daß er selber als mutmaßlicher Gewalttäter verhaftet wurde… Glück für ihn, daß er den Irrtum aufklären konnte. Aber vorher und nachher, behauptet er steif und fest, habe er Josef stets beobachten können, wie dieser eine Rauchbombe gezündet, das Fenster einer Polizeiwache eingeschlagen und ein Polizeiauto demoliert habe…
Ah ja! Und Steine geworfen auch… Das fiel ihm bei seiner Zeugenaussage am Freitag aber erst nach längerem Nachdenken (und auf Nachfrage des Richters: „Sonst nichts?“) ein.
Eine weitere Behauptung dieses Herrn, er habe die (in einem Video hörbaren) Rufe eines Demonstranten, „Weiter, weiter!“, als Josefs Stimme erkannt, hat sich mittlerweile durch ein Sprachgutachten als unwahr herausgestellt.
Ebenso ist am ersten Prozeßtag die Behauptung des Beamten, er sei Josef (ausgenommen die Zeit seiner eigenen Verhaftung…) immer hinterher gelaufen, als unwahr erwiesen worden. Auf einem zehnminütigen Video, wo man ihn hätte laufen sehen müssen, sieht man von diesem Polizisten nicht einmal eine Spur…
Die Vorführung dieses Videos war der Höhepunkt des ersten Prozeßtages. Eigentlich hätte der Beamte daraufhin ein reumütiges Geständnis ablegen müssen. Statt dessen behauptete der Richter zum Schluß, die Verdachtslage gegen Josef habe sich erhärtet; man habe gesehen, daß auch ein Polizist ein guter Zeuge sein könne; und wies den Antrag der Verteidigung auf Haftentlassung ab.
Dieses offenkundig wahrheitswidrige Vorgehen des Richters läßt für den weiteren Prozeßverlauf nichts Gutes erwarten. Es wird also sehr darauf ankommen, daß die demokratische Öffentlichkeit das Verfahren beobachtet und kommentiert.
Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Person des Staatsanwaltes Hans-Peter Kronawetter zu richten sein.
Dieser behauptete in seinem Eröffnungsvortrag, die Demonstrierenden am 24. Jänner hätten bürgerkriegsähnliche Zustände geschaffen und versuchte auch später, einer als Zeugin geladenen Polizistin in den Mund zu legen, sie hätte sich damals wie im Krieg gefühlt. Eine Verhöhnung aller, die Kriege erlebt und erlitten haben.
Und zugleich eine sich selbst entlarvende Täter-Opfer-Umkehr. Denn es war ja gerade die Führung der Polizei, die über Teile der Stadt einen verfassungswidrigen Ausnahmezustand verhängt hatte, um unter diesem, von ihr selbst geschaffenen Vorwand dann ein bisschen Bürgerkrieg zu spielen.
Aber trotzdem: Man soll nicht übertreiben. Anderswo geht es viel härter zu. Es war Verfassungsbruch, aber noch kein Krieg. Schon gar nicht seitens der Demonstrierenden. Es war seitens der Polizeiführung ein Manöver, eine Übung – mit echtem Blut.
Aber zurück zu diesem Staatsanwalt. Hans-Peter Kronawetter hat 2009 eine von Asyl in Not erstattete Anzeige gegen die FPÖ wegen NS-Wiederbetätigung, nämlich wegen des berüchtigten, mit SS-Runen gezierten Comic, das sie im EU-Wahlkampf an JungwählerInnen verschickte, abgeschmettert und das Verfahren ohne jegliche Begründung eingestellt.
https://asyl-in-not.org/php/strafanzeige_gegen_die_fpoe,17595,20027.html
https://asyl-in-not.org/php/der_buergerliche_rechtsstaat,17595,21096.html
Kronawetter war auch Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage des grünen Abgeordneten Peter Pilz im Jahre 2011, der ihm (unter anderem) vorwarf, er habe (durch Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit, zu der er als zuständiger Staatsanwalt verpflichtet war) den Datenverrat des früheren Polizeiministers Günter Platter in der Causa Arigona Zogaj gedeckt.
Weiters habe Kronawetter versucht, Verfahren einzustellen, die aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses zur Beschaffung von Kampfflugzeugen resultierten. Kronawetter sei auch als damals zuständiger Staatsanwalt in der Causa Natascha Kampusch für die „überfallsartige Einstellung der Verfahren im Herbst 2006 verantwortlich“ gewesen und habe einen entscheidenden Beitrag geleistet, „die Vertuschung geschehener Polizeipannen zu erleichtern“.
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/J/J_09805/fnameorig_236417.html
http://www.peterpilz.at/kommentar/2570/peter-pilz-tagebuch.htm
http://www.falter.at/falter/2013/05/28/justizakte-eurofighter/
Kronawetter ist also, ganz im Gegensatz zum unbescholtenen Josef, kein unbeschriebenes Blatt. Es ist ihm aber bisher ganz gut gegangen damit. Er wurde nie vor Gericht gestellt. Er treibt sein Wesen ungehindert weiter.
Festzuhalten bleibt, daß der Staatsanwalt zur absoluten Objektivität gegenüber jedermann verpflichtet ist. Er muss belastenden und entlastenden Umständen gleichermaßen nachgehen:
http://www.justiz.gv.at/web2013/html/default/8ab4a8a422985de30122a92d8b0e638d.de.html
Im gegenständlichen Verfahren wird zu prüfen sein, ob Hans-Peter Kronawetter sich an diesen Grundsatz hält. Entlastende Umstände wurden bisher nämlich nur seitens der Verteidigung vorgebracht.
Der Prozeß gegen Josef wird am 21. und 22. Juli im Wiener Landesgericht fortgesetzt. Wir werden weiter berichten.
Wien,10. Juni 2014
Michael Genner
Prozeßbeobachter, Obmann von Asyl in Not