“Osmanische Enkel”
Ein Machtwort unserer Geschäftsführerin Kübra Atasoy…
Liebe Leute, als vor wenigen Wochen die sog. “Migrant_innenliste” von Gördü und Konsorten durch die Medien ging, weil der Biber denen wieder eine Plattform bot, stellte ich klar, worum es sich wirklich handelt: “Gegen Menschenrechte, gegen den Schutz religiöser und ethnischer Minderheiten, gegen kritische Stimmen gegen Erdoğan, Mursi und die Hamas. Dafür mit einer Melange aus AKP-Anhängern, osmanischen Enkerln, gräulichen Wölfen und 4Fingern.”
Zum besseren Verständnis: Osmanische Enkel, osmanlı torunu, ist die Selbstbezeichnung jener, die glauben, im Osmanischen Reich zu den Herrschern und Beamten zu gehören, statt zu den Schafhirt_innen und Landwirt_innen oder Sklav_innen. Die Bezeichnung soll Stolz ausdrücken. Die Enkel Abdülhamits. Mit den gräulichen Wölfen meine ich die Anhänger der türkischen MHP und die 4- Finger spielen auf die Mursi-liebenden Muslimbrüder an. Die Melange der aktuellen islamistisch-nationalistischen Verbrüderung.
Der angebliche Ehrenmann Gördü war sich nicht zu schade, meine Familie hier ins Spiel zu bringen, meinen Großvater sogar namentlich zu erwähnen:
“Super dass du osmanische Enkerln erwähnst, gruß an deinen Opa Aktas amca, als Baby haben deine Großeltern ne Woche auf mich aufgepasst liebe Kübra, vielleicht ist da einiges auf mich abgefärbt. #keinscherz ;)”
Osmanische Enkerl, meine verniedlichende Bezeichnung, möchte er hier gegen mich anwenden, weil Achtung: Witz!, ich die Enkelin meines Großvaters bin, der religiös ist und das ist der konstruierte Zusammenhang zum “Osmanisch-Sein”, also: Kurz: Aber, aber, die Kübra ist selber ein osmanisches Enkerl. Lustig, gell.
Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich u.a. aus einer (massiv) religiösen Familie komme, dass ich viel zu früh als es erträglich ist, verstanden habe, was das Patriarchat ist, dass ich koran- und sektenkundig bin, weil ich das alles kenne und recherchiere und dass die Religiösen in demokratischer Verkleidung (außer wahnsinnig nervtötend) eines sind: gefährlich.
Aber nein, liebe linken, österreichischen Freundinnen und Freunde, die gerne ihren Drang zum Exotismus an diesem Objekt ausleben: die sind nicht für euch gefährlich, diese Religiös-Organisierten, sie sind für uns gefährlich:
Für Lesben und Schwule, Kurd_innen mit politischer Meinung, Frauen* mit Freiheitsdrang und minimalem Verständnis für Gelaber, Atheist_innen nicht-weißer Hautfarbe, Armenier*innen. Griech_innen, die ermordet werden nicht so kuhl finden, Jüd*innen sowieso, Leute, die gerne nicht mit Kirche belästigt werden, Leute, die gerne Zeitungsberichte schreiben, die irgendwie irgendwas mit Objektivität zu tun haben, Fußballer mit Tätowierung, auf der “Freiheit” steht, Fußballerinnen, Kommunist_innen. Oh, und: Seit die AKP in der Türkei regiert, sterben übrigens so viele Frauen* wie noch nie in der Geschichte. Nochmal: Höchste Mordrate ever. EVER.
Wir können übrigens alle nicht in die Türkei einreisen, wie wir wollen. (Ihr schon, wir wissen es. Danke für die Urlaubsfotos). Die Gördüs fliegen munter ein und aus, um uns zu zeigen, wie frei das Land für die AKP-Fans ist und machen sich lustig über Oppositionelle. #truestory
Wir (alevitische Gemeinde, Journis, Kebabverkäufer mit politischer Meinung, Friseurin, Studis etc.) werden an der Grenze festgenommen und ins Gefängnis gebracht. Unsere Kinder können ihre Großeltern nicht sehen. (Plot twist: Wir haben Familie in dem Land über das wir sprechen!)
Ich lache ja wirklich immer schon, über diese abstruse Interpretation postkolonialer Theorien, die es ermöglicht, dass das was sich hier noch als Linke bezeichnet, plötzlich solidarisch ist mit denen, die auf Seiten der Massaker stehen. Statt mit den Massakrierten zu stehen. (Pro-Tip: In der Türkei sind das ziemlich viele. Zur Info.)
Aber es ist eigentlich nicht zum Lachen. Der Gedanke nämlich, man müsse sich mit den türkischen Täter_innen identifizieren, weil sie ja “Arbeiterklasse” seien (Schön, hier auch die Ellipse: “Sie sind Arbeiterklasse, nicht wir (also ihr).”), dieser Gedanke ist zutiefst menschenfeindlich.
Aber, zurück zum Ausgangspunkt: mein Großvater ist 83 Jahre alt. 83 Jahre. Das ist ein ganz schön billiges Argument.
Mein Großvater ist 1935 geboren, 1964 mit den ersten Zügen als Gastarbeiter nach Österreich gekommen, hat seinen Körper hier durch Arbeit zerschunden, hat mit Freunden gesoffen, was das Zeug hält, war regelmäßig in den 70ern und 80ern am 1. Mai und dann als mit seiner Pensionierung, seine organisierte Identität, das Arbeiterdasein, ein Ende fand, suchte er eben eine andere Orientierung. Mein Großvater war übrigens nie religiös-politisch aktiv, in keiner Sekte, mein Opa ist nur eines geworden: alt. Mein Dede ist halt im Alter religiös geworden. Er hat leider erst spät überrissen, dass er Kurde ist, sonst wäre er vielleicht ein harmloser Folkloretänzer geworden.
Mit den organisierten Anhängern religiös-politischer Parteien hat das also genau gar nichts zu tun.
Ja, ich komme aus einer religiösen Familie. Das ist nichts, was mich beschämt. Ganz im Gegenteil:
Außer stolz, bin ich nur stolz auf meinen Großvater. Als ich mit 18 Jahren meine Familie in eine tiefe Krise gestürzt habe, weil ich -oh Schreck- in meine eigene Wohnung zog, war mein Großvater der einzige, der mich verteidigte. “Man muss mit der Zeit gehen”, sagte er. “Das Mädel weiß, was sie tut.”
Ich habe viel gelernt von meinem Großvater. Mutig sein, zum Beispiel. Arabisches Alphabet. Nicht aus den Konturen fahren beim Bilder anmalen. Und: Wenn dich einer haut, dann hältst du nicht die Wange hin, dann haust’ zurück. Doppelt so fest.
Und, dass man manche Konflikte auf der Straße löst, nicht in der Schreibstube.
Kübra Atasoy-Özoğlu
Geschäftsführerin von Asyl in Not
Stv. Obfrau
12. November 2018
www.asyl-in-not.org
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