Offener Brief an die Oppositionsparteienvon Michael Genner, Asyl in Not
Liebe Rote, liebe Grüne !
Schlaft Ihr gut ? Wie schön für Euch. Wißt Ihr, daß neulich etwas Wichtiges passiert ist? Der Verfassungsgerichtshof hat Strasser Anti-Asylgesetz in den wichtigsten Punkten aufgehoben: Das Neuerungsverbot und die Zurückschiebung in die Nachbarländer trotz Berufung sind verfassungswidrig. Für viele, die schon abgeschoben wurden, kommt diese Entscheidung allerdings zu spät.
Meint Ihr nicht auch, daß ein Minister, der so ungeheuerliche Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hat, von der politischen Bühne verschwinden muß? Habt Ihr nicht auch bemerkt, daß Strasser einen Augenblick lang ziemlich alt ausgesehen hat?
Vielleicht habt Ihr bemerkt, daß inzwischen eine Parlamentssitzung zu diesem Thema war. Und was ist dort geschehen? Wer hat dort Forderungen gestellt? Wer hat sich profiliert? Wessen dringlicher Antrag ist behandelt worden? Wessen Gesichter sind uns im Fernsehen, in den Zeitungen entgegengeronnen? Strasser und Patrik-Pable – die uns unisono versicherten, jetzt erst recht werde eine Verschärfung des Asylrechts kommen, jetzt erst recht müssten Flüchtlinge abgeschoben werden aus unserem „Asylparadies“.
Von Euch, liebe Oppositionsparteien, hat man nicht allzu viel bemerkt. Oh ja, Terezija Stoisits von den Grünen hat, wie immer, gesagt, daß sie das alles empörend findet. Und Walter Posch von den Roten etwas Ähnliches, so weit ich mich erinnern kann. Darüber liest man hinweg. Glaubt Ihr wirklich, daß das genügt?
Ihr habt die Gelegenheit verpasst, Euch auf Strasser einzuschießen, seinen Rücktritt zu verlangen, einen Misstrauensantrag zu stellen, eine menschenrechtskonforme Änderung des Asylgesetzes zu fordern. Ihr habt die politische Initiative, die Themenführerschaft dem politischen Feind überlassen.
Manchmal glaube ich wirklich, Ihr wollt gar nicht an die Macht. Das wäre zu beschwerlich. Zu verantwortungsvoll. Ihr müsstest kämpfen und unbequeme Dinge tun. Ihr müsstest Euch, wärt Ihr am Ruder und würde jemand von Euch das Innenressort führen, mit einer faschistisch durchseuchten Beamtenschaft herumschlagen, die schon Caspar Einem zum Verhängnis geworden ist.
Diese Auseinandersetzung müsstet Ihr jetzt schon vorbereiten. Indem Ihr, wie wir NGOs es Euch vorzeigen, den Finger auf wunde Punkte im Sicherheitsapparat legtet. Uns ist es immer wieder gelungen, einzelne Beamte, die die Menschenrechte brachen, herauszuschießen. Und das mit unseren bescheidenen Kräften, die sich mit Euren nicht vergleichen lassen.
Damit haben wir erste Voraussetzungen geschaffen für eine künftige demokratische Neuordnung des Staatsapparats, ohne die eine künftige (rot-grüne ?) Reformregierung bestimmt nicht gedeihen kann.
Das genügt aber nicht. Und vor allem: Der Fisch stinkt vom Kopf. Strasser trägt die Verantwortung, Strasser war einen Augenblick lang angeschlagen; die Gelegenheit, ihn noch mehr zu schwächen, vielleicht sogar: ihn wegzubringen von der Bühne, war günstig wie noch nie – Ihr habt sie verpasst.
Schlaft weiter! Wir NGOs halten unseren Kurs. Wir haben schon viele Innenminister kommen und gehen gesehen. Herr Strasser wird stürzen, wie Löschnak und Schlögl vor ihm. Österreich wird wieder Asylland werden. Die Menschenrechte werden wieder gelten in diesem Land.
Michael Genner, Asyl in Not
1090 Wien, Währingerstraße 59
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