Nimmer wieder – ANDERLE
Asylgerichtshof entscheidet:
Das Asylamt muß einen anderen Sachverständigen bestellen!
Unsere LeserInnen erinnern sich: Es gibt eine Psychologin, die das Bundesasylamt oft und gern heranzieht; ihre Befunde stehen meist in Widerspruch zu denen namhafter Experten für die Behandlung und Betreuung von Folteropfern. Diese Dr. Anderle haben wir nun in drei Asylverfahren erfolgreich als Gutachterin abgelehnt.
Unseren Ablehnungsschriftsatz stellen wir befreundeten NGOs gerne zur Verfügung und empfehlen unser Vorgehen zur Nachahmung.
Wir berichteten über Frau Dr. Elisabeth Anderle, klinische Psychologin, in einigen Rundbriefen im Sommer und Herbst 2009:
https://asyl-in-not.org/php/nach_langem_leidensweg,17595,20896.html,
https://asyl-in-not.org/php/gutachterin_anderle,17595,20872.html,
https://asyl-in-not.org/php/asylamt_eisenstadt,17595,20337.html.
Ein „modisch gekleideter Simulant“…
So hatte Dr. Anderle einem psychisch schwer kranken, in der Heimat mit Elektroschocks gefolterten (jedoch, wie sie festhielt „modisch gekleideten“!) Tschetschenen, Herrn S., „Aggravation“ (Übertreibung) sowie „Überbewertung der tatsächlichen Beschwerden aufgrund wirtschaftlicher Sicherungswünsche“ und „unübersehbare Simulation“ attestiert.
Hingegen hatte Erwin Klasek, einer von Österreichs wichtigsten Experten für Behandlung und Begutachtung von Folteropfern, bei Herrn S. eine „höhergradige post-traumatische Belastungsstörung (PTSD) zu Folge serieller Traumatisierung“ diagnostiziert.
Nach dem Anderle-Befund wurde Herr S. in Schubhaft genommen, jedoch wegen Haftunfähigkeit freigelassen und erhielt schließlich vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 31.7.2009, D5 312942-3/2009/7E, Asyl.
Die Vergewaltigte geht abends gerne aus…
Auch bei Frau Kh., Vergewaltigungsopfer aus Tschetschenien, wurde Dr. Anderle als Gutachterin eingesetzt. In ihrem Befund schrieb sie, es liege keine psychische Störung vor, welche einer „posttraumatischen Belastungsstörung“, einer „andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung“ oder einer „depressiven Störung“ entsprechen würde.
In völligem Gegensatz dazu stellten der ärztliche Leiter des Sozialpsychiatrischen Ambulatorium Josefstadt und eine Fachärztin für Psychiatrie fest, daß Frau Kh. an einem depressivem Zustandsbild im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsreaktion F43.1 leidet.
Beim Lesen des Anderle-Befunds sprang uns in die Augen, daß sie unsere Klientin offenbar mit keinem Wort nach einem Eingriff in ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht befragt hatte. Dies obwohl Frau Kh. im Bundesasylamt auf die Frage, ob ihr Vorbringen einen solchen Eingriff betrifft, geantwortet hatte: „Ja, aber ich werde nicht darüber sprechen.“
Dr. Anderle zufolge habe Frau Kh. in der spontanen Erzählung berichtet, „daß es ihr zurzeit sehr gut gehe, daß sie keine Beschwerden habe“.
Auch habe sie angegeben, „daß sie abends gerne ausgehe. Sie habe fast immer eine schlagfertige Antwort bereit, würde sich beim Kellner eines Restaurants beschweren, wenn ein schlechtes Essen serviert werde“.
In Wirklichkeit ging es Frau Kh. ganz und gar nicht gut; sie betonte, sie habe dergleichen auch nicht gesagt.
Vor allem aber war Frau Kh. in Österreich noch nie in einem Restaurant (sie befand sich in Grundversorgung mit einem monatlichen Taschengeld von 40.- Euro!) und in Tschetschenien jedenfalls seit Kriegsbeginn auch nicht.
Anderle hatte unsere Klientin anhand einer „Selbstbeurteilungsskala“ befragt. An der Realität tschetschenischer Flüchtlinge gehen solche Fragen meilenweit vorbei. Keinesfalls darf aber nach den Regeln der Kunst behauptet werden, dass die abgefragte Situation tatsächlich stattgefunden hat.
Anderles Befund erweckte aber beim Leser (und somit auch bei der Referentin des Bundesasylamtes!) genau den Eindruck, es handle sich bei Frau Kh. um eine resolute, lebenslustige und keinesfalls traumatisierte Frau. So entstand von der Betroffenen ein völlig falsches Bild, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.
Das Bundesasylamt wies ihren Asylantrag ab. Unsere Beschwerde an den Asylgerichtshof hatte jedoch Erfolg; mit Erkenntnis vom 12.4.2010 (D7 410177-1/2009/5E, Richterinnen Gloria Stark und Sabine Gollegger) erhielt Frau Kh. Asyl, ihre Kinder ebenso.
Ein Beamter ist (vielleicht) zur Einsicht gekommen.
Frau M., ebenfalls Vergewaltigungsopfer und schwer traumatisiert, hatten wir im Dublin-Verfahren vertreten und beim Verwaltungsgerichtshof ihre Zulassung erreicht. Das war möglich, weil der Dublin-Bescheid vor dem 1. Juli 2008 erlassen worden war; allen späteren Dublin-Opfern ist der Weg zum Verwaltungsgerichtshof verwehrt.
Das Asylamt, wo das Verfahren wieder anhängig wurde, wollte Frau M. zu Dr. Anderle schicken. Aus diesem Anlaß lehnten wir Anderle erstmals in einem ausführlichen Schriftsatz wegen Befangenheit ab. Und zwar für diesen wie auch jeden künftigen Fall. Befunde von Erwin Klasek, die die Krankheit Frau M.‘s bescheinigten, lagen ohnedies zur Genüge vor.
Im Fall M., das sei lobend erwähnt, verzichtete nun sogar Mag. Macek (Asylamt Wien), den wir an dieser Stelle oft kritisiert haben, auf eine Anderle-Untersuchung. Frau M. erhielt ohne weiteren Befund in erster Instanz Asyl.
In einem ähnlichen Fall eines tschetschenischen ehepaares erreichte Mag. Judith Ruderstaller (Leiterin unserer Rechtsabteilung), daß das Asylamt Eisenstadt auf Anderle als Gutachterin verzichtete.
„…unerwünschte Ergebnisse zu vermeiden“
Herr und Frau T. waren „freiwillig“ nach Tschetschenien zurückgekehrt, dort neuerlich verfolgt worden und wieder nach Österreich geflüchtet. Selbst die Ärztin in Traiskirchen stellte bei Herrn T. eine krankheitswertige psychische Störung fest. Es ging ihm so schlecht, daß er für einige Zeit in der Psychiatrie des Krankenhauses Baumgartner Höhe aufgenommen werden mußte.
Judith Ruderstaller (Leiterin der Rechtsabteilung von Asyl in Not) lehnte Anderle auch in diesem Fall ab, verwies auf unsere bisherigen Erfahrungen und hielt fest, dass eine Verfahrenspartei gemäß § 53 AVG einen Sachverständigen ablehnen kann, wenn begründete Zweifel an dessen Unbefangenheit oder Fachkunde bestehen.
Das Asylamt wies (ohne einen anderen Sachverständigen zu bestellen) die Asylanträge dieser Familie ab; auch zwei von uns zum Beweis der Fluchtgründe angebotene Zeugen wurden nicht gehört. Es sei, so die Beamtin, „offensichtlich, daß die pauschale Ablehnung einer anerkannten Expertin lediglich dazu dienen soll, unerwünschte Ergebnisse in Gutachten zu vermeiden.“
Judith Ruderstaller erhob dagegen Beschwerde und hielt fest, daß es nicht zum Nachteil des Antragstellers ausgelegt werden dürfe, wenn er gesetzlich zustehende Rechte in Anspruch nimmt.
Der Asylgerichtshof (Ulrike Scherz, Clemens Kuzminski) gab der Beschwerde statt und verwies den Fall an das Bundesasylamt zurück (D4 300439-3/2010/5E, 19.7.2010). Aus dem Erkenntnis:
„Immerhin normiert § 53 AVG die Möglichkeit einer Partei, unter bestimmten Umständen einen Sachverständigen abzulehnen.“
Der vom Bundesasylamt gezogene Schluß sei „unzulässig, da er eine antizipierende Beweiswürdigung beinhaltet, die mit der (…) freien Beweiswürdigung nicht in Einklang zu bringen ist“, da „eine ‚freie Beweiswürdigung‘ erst nach einer vollständigen Beweiserhebung einsetzen darf“.
„Eine einmalige Ablehnung eines bestimmten Sachverständigen kann nicht dazu dienen, dem Beschwerdeführer die Vermeidung unerwünschter Ergebnisse in Gutachten zu unterstellen – anders gestaltet es sich bei einer allgemeinen Ablehnung einer Untersuchung bzw. immer wieder Ablehnungen von verschiedenen Sachverständigen.“
„Darüber hinaus scheint aus der Begründung hervorzugehen, daß das Bundesasylamt selbst im Vorhinein bereits von einem für den Beschwerdeführer unerwünschten Ergebnis ausgeht.“
Der Asylgerichtshof erteilte dem Asylamt den Auftrag, Herrn und Frau T.‘s Gesundheitszustand zu erheben:
„Diese Untersuchung hat jedoch jedenfalls nicht durch Dr. Anderle, sondern durch einen anderen Sachverständigen zu erfolgen.“
Ebenso muß das Asylamt nun unsere Zeugen hören.
Ein sehr schöner Erfolg an der juristischen Front. Wir empfehlen, wie gesagt, auch allen anderen NGOs, Dr. Anderle als Sachverständige abzulehnen, unseren Schriftsatz zu verwenden und schöpferisch weiter zu entwickeln…
Spendenkonto:
Raiffeisen (BLZ 32000),
Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not