Mariam  ist Mechatronikerin. Sie arbeitet als Lehrling im Elektromaschinenbau in Linz. Die Arbeit ist anstrengend, ein sogenannter „Männerberuf“.
Mariam aber liebt diese Arbeit. In der Werkshalle arbeitet sie fast nur mit männlichen Kollegen.
In Afghanistan wäre das unvorstellbar; im Iran, wo Mariam aufgewachsen ist, ebenso. Mariam wollte immer schon einen technischen Beruf ergreifen. Hier in Österreich verwirklicht sie nun ihren Traum.
 
Eine Lehre als Friseurin war das Äußerste, was Mariams Eltern im Iran zugelassen hatten: ein „Frauenberuf“. Eine technische Ausbildung lehnten sie völlig ab. Die Brüder meinten, sie solle gar nicht arbeiten.
 
Als Mariams Mann Masoud  vom Iran nach Afghanistan abgeschoben wurde, musste Mariam ihm nachreisen – dort ist ihr dann Schreckliches widerfahren. (Aus Rücksicht auf unsere Klientin sparen wir diesen Teil ihres Lebens aus, denn Mariam ist so viel mehr als ihr Trauma.)
Es blieb den beiden allerdings kein anderer Ausweg: Sie mussten fliehen.
 
In Österreich angekommen, wies das BFA ihren Asylantrag wie so oft als „unglaubwürdig“ ab: Eine Rückkehr nach Afghanistan (ein ihr fremdes Land) sei Mariam zumutbar. In Linz habe sich ihr „Lebensstil nicht wesentlich verändert“. Immerhin habe sie ja schon im Iran eine Lehre als Friseurin absolviert. Negativ!
 
Mariam und Masoud fanden eine private Unterkunft in Linz und arbeiten in einem Kulturverein. Sie waren von Anfang an in ein soziales Umfeld eingebettet, mit dessen Hilfe sie Lehrstellen fanden. Mariam schaffte den Aufnahmetest auf Anhieb mit 100 Punkten. Masoud arbeitet als Kochlehrling in einem Restaurant.
 
In meiner Beschwerdeergänzung argumentierte ich, Mariams Beruf und ihre ganze „verwestlichte“ Lebensführung seien so wesentliche Teile ihrer Identität geworden, dass es  ihr unzumutbar sei, ihre neugewonnene Freiheit unterdrücken zu müssen. Würde sie an dieser festhalten, würde sie in Afghanistan dafür verfolgt werden.
 
Bei der Beschwerdeverhandlung sagte ihre Chefin als Zeugin aus und berichtete voller Begeisterung über Mariams Arbeit und “ihre gute Integration”„Sie ist gekommen und war da. Sie steht ihren Mann bzw. ihre Frau.“ 
 
Mariam und Masoud sprachen so eindrucksvoll über ihr Leben und ihre Arbeit in Österreich, dass eine Erörterung der ursprünglichen Fluchtgründe gar nicht mehr nötig war. Richterin Daria Maca-Daase verkündete das Erkenntnis:
 
Mariam erhielt Asyl, weil ihr als einer „westlich“ orientierten Frau in Afghanistan Verfolgung droht (GZ W 167 2191317-1/13E); ihr Mann und ihr kleines Kind erhielten durch sie gleichen Schutz. Das BFA (bei der Verhandlung anwesend) erhob keine Revision; die Entscheidung ist rechtskräftig. Wir wünschen der jungen Familie viel Glück und Erfolg.
 
Dieser Fall verdeutlicht, dass es nicht um Details unterschiedlicher Rechtsauffassungen geht, die in Beschwerdeverhandlungen diskutiert werden, sondern um den systematischen Ausschluss von fairen Verfahren vor dem BFA und die faktische Abschaffung einer Instanz.
Es gibt keinen rechtlichen Grund, warum ein- und derselbe Fall vom BFA negativ beschieden wird, vor Gericht aber noch in der Verhandlung Asyl verkündet wird. 
 
Dies konnte jedoch durch unsere solidarische Rechtsberatung sichergestellt werden. Hätten wir die Familie nicht begleitet, wäre es womöglich bei dem erstinstanzlichen Negativ geblieben und genau darauf spekuliert das BFA: Dass nicht alle solidarisch vertreten werden können.
 
Das Recht auf ein faires Verfahren darf nicht nur jenen gewährt werden, die ihren Weg zu uns finden!
 
Wie viele andere Menschen abgeschoben werden, die nach österreichischem Recht ebenfalls einen Aufenthaltstitel bekommen müssten, die aber keinen Zugang zu solidarischen Rechtsberatungsstellen haben, möchte man sich nicht vorstellen.
 
Michael Genner
Obmann Asyl in Not
03.12.2019

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