Leidensweg eines Folteropfers
Trotz Trauma – zweimal abgeschoben!
Beim dritten Anlauf hat Asyl in Not seine Zulassung zum Asylverfahren erreicht
Herr L. aus Tschetschenien ist mein Klient. Er hat seinem Volk gedient, mit aller seiner Kraft – erst als Freiheitskämpfer gegen die Besatzungsmacht, dann als Polizeibeamter im Kampf gegen den Terror. Er ist ein großer, kräftiger Mann; aber seelisch kaputt: Er leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung. In der Heimat haben ihn zuerst die Russen, dann die Wahabbiten (islamische Extremisten) verschleppt und gefoltert. An mehrere Monate in seinem Leben kann er sich nicht erinnern: totales Black-out.
Österreich hat ihn zweimal in die Slowakei deportiert. Beim ersten Mal, im Juni 2004, kannte er uns noch nicht. Er hatte er keinen Rechtsvertreter, hat daher keine Berufung gemacht; es war in den Anfangstagen des Strassergesetzes, als das Innenministerium nach der Devise „einsperren und abschieben“ verfuhr. Obwohl Traumatisierte und Folteropfer von der Dublinklausel ausgenommen sind, wurde Herr L. von keinem Arzt untersucht.
Herr L. war in der Slowakei nicht sicher, weil dieses Land Tschetschenen nach Russland zurückschiebt. Daher flüchtete er wieder nach Österreich und von dort, aus Angst vor neuerlicher Deportation, weiter nach Italien. Dort fand er keinen Schutz, daher flüchtete er nach Österreich zurück.
Auch diesmal wurde sein Asylantrag zurückgewiesen, auch diesmal fand keine Trauma-Untersuchung statt; die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck nahm ihn in Schubhaft und verhängte ein Aufenthaltsverbot.
Während er in Linz in Schubhaft saß, erteilte er mir Vollmacht; seine Schwester, Frau I., die in Österreich als anerkannter Flüchtling lebt, stellte den Kontakt her. Ich wollte, daß ihn ein Psychologe der Volkshilfe oder der Caritas im Gefängnis untersucht; aber die Fremdenpolizei war schneller: Er wurde in offener Frist abgeschoben, meine Berufung kam zu spät.
Der UBAS (Senatsmitglied Dr. Kuzminski) wies meine Berufung in kürzester Zeit ab: Ob die Slowakei für Herrn L. sicher ist, müsse nicht geprüft werden, da die Staaten der EU einander als sicher betrachten. Punktum basta; was nicht sein darf, kann auch nicht sein.
Die von mir beantragte ärztliche Untersuchung, meinte Kuzminski, sei unnötig, da Herr L. gar nicht vorgebracht habe, traumatisiert zu sein. Meine Behauptung, alle Tschetschenen wären traumatisiert, sei ein „Pauschalurteil“. Herr Kuzminski hat noch nichts davon gehört, daß gerade die schwerst Traumatisierten meist nicht darüber sprechen können. Nachzulesen in jedem Handbuch der Psychologie.
Eine skandalöse Fehlentscheidung. So sehr wir den UBAS als Einrichtung schätzen – unsere Leser wissen, wir haben ihn oft gegen ungerechte Angriffe verteidigt: Er wird lernen müssen, unseren Beweisanträgen stattzugeben. Wir stellen sie nicht leichtfertig. Wir wissen: Bei Tschetschenen ist Traumatisierung die Regel, nicht die Ausnahme. Daher hat auch in jedem einzelnen Fall eine Untersuchung zu geschehen.
Und natürlich hat auch der UBAS der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu folgen und das Gesetz verfassungskonform zu interpretieren. Das heißt: Er hatte zu prüfen, ob anzunehmen ist, daß im konkreten Fall die Slowakei das Refoulementverbot respektiert!
Herr L. wollte nicht das Versuchskaninchen der österreichischen und slowakischen Asylbehörden sein. Er flüchtete auch diesmal nach Österreich zurück und versteckte sich in Niederösterreich bei seinen beiden Schwestern und seinem Bruder (durchwegs anerkannte Flüchtlinge). Da er psychisch sehr herunter war, brachten ihn die Schwestern zu einer Psychiaterin in Wiener Neustadt; diese stellte eine schwere posttraumatische Belastungsstörung fest.
Der dritte Antrag
Im Mai 2005 begleitete ich Herrn L. zur Einbringung seines dritten Asylantrags nach Thalham in die Erstaufnahmestelle West. Zur Begründung brachten wir vor, daß ein neuer Sachverhalt eingetreten sei; es liege daher keine entschiedene Sache vor:
Herr L. wird nämlich jetzt von seinen Geschwistern in Niederösterreich betreut; er ist psychisch von ihrer Hilfe abhängig; seine neuerliche Ausweisung wäre daher ein Verstoß gegen Artikel 3 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Verbot unmenschlicher Behandlung; Achtung des Privat- und Familienlebens).
Bevor wir nach Thalham fuhren, nahm ich ein Protokoll über seine Fluchtgründe auf; Frau I., seine Schwester, war behilflich – es zeigte sich, daß er ohne sie über manche Ereignisse überhaupt nicht sprechen konnte; andere hatte er so völlig verdrängt, daß sie nur mit Hilfe der Schwester rekonstruierbar sind.
Herr L. hat 1994 an der Verteidigung des Präsidentensitzes gegen die russischen Angreifer teilgenommen; in seiner Nähe schlug eine Bombe ein, er wurde durch Splitter verletzt und verlor das Bewußtsein – an die Monate danach kann er sich nicht erinnern.
Halbwegs wiederhergestellt, geriet er in 1995 russische Gefangenschaft. Er wurde in der berüchtigten Militärbasis Chankala gefoltert, die Narben an den Händen sieht man noch. Einzelheiten hat er verdrängt.
Nach dem Ende des ersten Krieges (1996) arbeitete er als Kriminalbeamter für die Staatspolizei des gemäßigten Präsidenten Maschadow. Er ermittelte gegen die Wahabbiten – islamische Extremisten, die den jungen tschetschenischen Staat destabilisierten, eine Basis für al-Kaida einrichten wollten und schließlich den Vorwand lieferten für die zweite russische Invasion.
Herr L. verhaftete einige Wahabbiten. 1997 wurde er aber selbst von Wahabbiten entführt, sieben Tage in einem Keller gefangengehalten, mißhandelt, dann aber gegen einen inhaftierten Wahabbiten ausgetauscht. 1999 wurde L. zum zweiten Mal von Wahabbiten verschleppt.
Darüber zu sprechen, ist er bis heute außerstande. Es war seine schlimmste Zeit. Die Terroristen verlangten von seiner Familie ein Lösegeld von 500.000 Dollar, das natürlich nicht aufgebracht werden konnte. Daher wurde auch einer von L.’s Brüdern verschleppt; man hat nie mehr von ihm gehört. Wie L. freigekommen ist, konnte er nicht sagen. Er flüchtete nach Georgien, seine Schwestern fanden ihn dort und pflegten ihn. Er war wieder, wie nach dem Bombenangriff, monatelang in einem völligen Black-out.
Über die folgenden Jahre spricht er kaum. Aus Angst vor den Wahabbiten, die auch Georgien heimsuchten, hielt er sich dauernd versteckt. Seine Schwestern flüchteten mit ihren Familien nach Österreich und erhielten Asyl; er selbst hatte Pech und kam erst nach Inkrafttreten des Strassergesetzes hier an.
Hier ist ihm neues Unrecht widerfahren: Er war in Schubhaft, wurde zweimal deportiert. Jetzt endlich, fast ein Jahr nach seiner Ankunft in unserem so gastfreundlichen Land, hat er – mit unserer Hilfe – die erste Hürde im Asylhindernislauf geschafft. Die Erstaufnahmestelle West in Thalham hat ihn nun zum Verfahren zugelassen und somit ihren eigenen Irrtum und die Fehlentscheidung des UBAS korrigiert.
Herr L. hat (so sagte er mir) von seinem Vater gelernt, keine Angst zu zeigen, über Schmerzen nicht zu klagen. Erst jetzt beginnt er, seiner Schwester, Frau I., allmählich und bruchstückhaft Einzelheiten seines Leidensweges zu erzählen.
Wir erwarten, daß er rasch Asyl erhält. Und daß die Behörden (auch der UBAS !) lernen, mit Menschen wie ihm achtsam umzugehen.
Wäre Frau Prokops Gesetz schon in Kraft, hätte Herr L. keine Chance gehabt. Weil die Ausnahmeklausel für Folteropfer und Traumatisierte gestrichen ist. Herr L. würde gnadenlos deportiert, zuerst in die Slowakei, von dort weiter nach Russland, in den Tod…
Michael Genner
Asyl in Not
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