Mit wachsender Sorge beobachtet Asyl in Not die Ereignisse in der Türkei. Tausende kurdische Gefangene sitzen oft jahrelang unter menschenunwürdigen Bedingungen im Gefängnis. Unter ihnen kurdische Abgeordnete, Bürgermeister und Journalisten. Hunderte politische Gefangene befinden sich im Hungerstreik. Demonstrationen zur Unterstützung der Häftlinge werden mit Tränengas und Wasserwerfern zerschlagen.

Aber die Türkei ist ein Rechtsstaat, sagen österreichische Asylbeamte. Kürzlich habe ich für einen jungen kurdischen Asylwerber eine Beschwerde geschrieben. Er hatte ein türkisches Gerichtsurteil vorgelegt, aus dem hervorgeht, daß er zu 11 Jahren und 8 Monaten Gefängnis verurteilt worden ist:

Wegen politischer Aktivität für eine verbotene linke Organisation. Und weil er angeblich vor zwölf Jahren eine Sachbeschädigung durch Werfen eines Molotowcocktails begangen haben soll. Was er entschieden bestreitet. Sein Bruder, unter ähnlichen Beschuldigungen inhaftiert, wurde im Gefängnis umgebracht.

Das Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, wies seinen Asylantrag ab. Zwar ist das exzessiv hohe Gerichtsurteil unbestritten; ebenso, daß er drei Tage inhaftiert war, die ganze Zeit nicht schlafen durfte und geschlagen wurde. Nicht gerade ein Beweis für ein faires Gerichtsverfahren, sollte man meinen.

Das Gerichtsverfahren hat übrigens alleine in der ersten Instanz neun Jahre gedauert! Ein weiterer klarer Verstoß gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf ein faires Verfahren), der ein Urteil innerhalb einer angemessenen Frist verlangt.

Aber, so das Asylamt: Sein Rechtsanwalt hat ja gegen das Urteil Berufung eingelegt… Das Berufungsverfahren hätte er doch wenigstens abwarten können, statt gleich davonzulaufen! Und wenn es schlecht ausginge, müsse er eben ins Gefängnis. Die Türkei ist schließlich ein Rechtsstaat, sagte mir der Traiskirchner Amtsdirektor Günter Postl ins Gesicht.

„Wenn das so gewesen wäre, wäre mein älterer Bruder nicht ums Leben gekommen“, gab mein Mandant daraufhin zu Protokoll.

In meiner Beschwerde verwies ich auf den „Länderbericht Türkei“ der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Dezember 2010, „Unfaire Gerichtsverfahren und überzogene Strafen bei politischem Hintergrund“:

Ein gravierendes Problem sind weiterhin unfaire Gerichtsverfahren. Dies gilt insbesondere für Fälle, die nach der Antiterrorgesetzgebung verhandelt werden. Verurteilungen erfolgen oft nach unzureichender Beweisermittlung und – vor allem in Fällen, die sich schon seit vielen Jahren hinziehen – unter Heranziehung von wahrscheinlich unter Folter erpreßten Aussagen.“

So sieht es aus im „Rechtsstaat“ Türkei. Asyl in Not fordert eine grundlegende Änderung der österreichischen Asylpraxis: Flüchtlinge, die vom türkischen Staat verfolgt werden, müssen Asyl erhalten. Diese Weisung hat das Innenministerium den Außenstellen des Asylamtes zu erteilen.

Innenministerin Mikl-Leitner hat in letzter Zeit einige ganz richtige Sachen gesagt. So etwa, sie werde sich nicht an der Hetze der FPÖ beteiligen. Das ist schon ein Fortschritt im Vergleich zu ihrer Vorgängerin. Umso dringlicher fordern wir, daß sie ihre Beamtenschaft an die Leine nimmt.

Michael Genner

Obmann von Asyl in Not

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