Notruf Asyl:
Prokops Polizei hat eine Mutter mit ihrem drei Monate alten Kind eingesperrt.
Der UBAS hat noch nicht entschieden – die Abschiebung ist jederzeit durchsetzbar. Will die Polizei vollendete Tatsachen schaffen?
Frau X. ist mit ihrem Lebensgefährten im Mai 2005 aus dem Kosovo nach Österreich geflüchtet, weil ein Bekannter aus politischen Gründen ermordet worden war. Sie kamen mit einem französischen Visum, weil das rascher zu haben war als ein österreichisches. Auf der Flucht ist man nicht wählerisch.
Frau X. war schwanger zur Zeit der Flucht. In Österreich leben ihre vier Brüder, österreichische Staatsbürger; sie leben hier seit vielen Jahren, haben selbst Familien; sie sorgen für Frau X., sie sorgen für ihr mittlerweile geborenes Kind, sie haben ihr und ihrem Mann eine Wohnung zur Verfügung gestellt.
Die Asylanträge, die Frau X. und ihr Lebensgefährte stellten, wurden vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, in Thalham als unzulässig zurückgewiesen. Weil Österreich nicht zuständig sei. Sie sollten es in Frankreich versuchen, wo sie niemanden kennen. So will es die Logik von „Dublin“.
Frau X. machte geltend, dass sie hochschwanger sei und gerade jetzt die Nähe ihrer Angehörigen brauche. Die Erstaufnahmestelle (EAST) meinte aber, von einer Schwangerschaft sei „optisch“ (!) nichts zu bemerken; Frau X. sei unglaubwürdig. Eine ärztliche Untersuchung sei nicht erforderlich. Wenige Wochen danach brachte Frau X. ihr Kind zur Welt.
Der Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) hob den Bescheid auf und schickte den Fall an die Erstaufnahmestelle zurück: Sie möge ermitteln, wie eng die Bindungen Frau X.’s an ihre Brüder sei.
Die Erstaufnahmestelle machte wieder einen Bescheid: Frau X.’s Bindung an ihre Brüder könne nicht so eng sein, da sie jahrelang ohne sie im Kosovo gelebt habe. Daß aber die Brüder seit jeher für sie sorgten, Geld für sie nach Hause schickten und auch jetzt für ihren Unterhalt aufkommen – einerlei.
Kein Wort steht im Bescheid davon, welches „öffentliche Interesse“ es erfordern sollte, Frau X.’s Recht auf Familienleben (garantiert durch Artikel 8 der Menschenrechtskonvention) so schamlos zu brechen.
Dafür aber ein wichtiger Zusatz: die aufschiebende Wirkung einer Berufung wird ausgeschlossen. Eine Maßnahme, die nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz nur bei „Gefahr in Verzug“ vorgesehen ist. Welche „Gefahr“ geht von Frau X. und ihrem drei Monate alten Kind aus?
Gleich lautende Bescheide erließ die EAST auch gegen den Mann und gegen das in Österreich geborene Kind.
Frau X. erhob Berufung; der UBAS setzte für Donnerstag, den 3. November, eine Verhandlung an. Kurz vorher, am 26. Oktober, wurden Frau X. und ihr Baby von der Prokop-Polizei aus der Wohnung geholt. Der Mann ist untergetaucht.
Die verzweifelten Brüder sind zu uns gekommen. Asyl in Not hat Schubhaftbeschwerden für Mutter und Kind eingebracht. Heute, am 3. November, haben wir sie auch vor dem UBAS vertreten. Sie wurden von der Polizei vorgeführt. Zwei der Brüder waren als Zeugen da und bestätigten, daß sie heute wie seit eh und je für den Unterhalt der Schwester sorgen. Daher hat Österreich von seiner Selbsteintrittspflicht Gebrauch zu machen.
Das zuständige Senatsmitglied hat uns eine Entscheidung bis spätestens Montag zugesagt. Frau X. und ihr Kind wurden ins Gefängnis zurückgebracht. Bis Montag besteht ständige Abschiebungsgefahr.
Das ist Prokopland, Ende 2005, unmittelbar vor Inkrafttreten des neuen Fremdenrechtspakets. Asyl in Not fordert, dass Frau X. und ihr Kind freigelassen werden, und zwar sofort. Daß sie bei ihren Brüdern in Österreich bleiben kann.
Liebe Leserinnen und Leser,
bitte schicken Sie Protesttelegramme und Emails an Frau Liese Prokop, Bundesministerin für Inneres, ministerbuero@bmi.gv.at, und zugleich an die Fremdenpolizei, bpdw.frb@polizei.gv.at (Kopien bitte an uns).
Michael Genner
Asyl in Not
Währingerstraße 59
1090 Wien
Tel.: 408 42 10-15, 0676 – 63 64 371
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P.S.K., Kontonummer 92.034.400