Jahresrückblick 2008
Bilanz unserer Asylverfahren
Seit Anfang 2008 haben wir bis Redaktionsschluß (10. Dezember) 2911 Beratungsgespräche im offenen Klientenempfang (Montag 9-13, Dienstag 13-18 Uhr) – dokumentiert anhand der Wartelisten – sowie (über den Daumen gepeilt) rund 250 Intensivberatungen außerhalb der Öffnungszeiten geführt und (im Computer registrierte) 735 Schriftsätze eingebracht.
Darunter 249 Berufungen im inhaltlichen Asylverfahren, 257 „Dublin“-Berufungen, 48 Schubhaftbeschwerden, 28 Entwürfe für Beschwerden an den Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtshof sowie zahlreiche ausführliche Beschwerdeergänzungen und Stellungnahmen.
Wie viele Leute wir zum Asylamt, zum UBAS oder zum Asylgerichtshof begleitet und wie viele wir in der Schubhaft besucht und betreut haben, können wir nicht sagen, denn wir haben darüber nicht Buch geführt; aber es war jedenfalls eine Menge.
Festgehalten sei, daß auch heuer wieder viele – sodann von uns vertretene – Flüchtlinge vorher zur Caritas gegangen sind und dort weggeschickt wurden. Meist drückte man ihnen dortamts einen Zettel in die Hand, auf dem unsere Adresse steht. Die Caritas ist die größte Rechtsberatungsstelle für Asylwerber in Wien und verfügt über viel mehr Geld und bezahlte Mitarbeiter als wir.
Erstmals haben wir nun 14 solche Fälle protokolliert, samt den Begründungen der Caritas, wie sie von den Asylwerbern verstanden und uns berichtet wurden:
„(…) daß es aufgrund des Umfanges meines Falles zu kompliziert sei…“, „daß man in meinem Fall nichts machen könne, obwohl ich seit geraumer Zeit mit einer Österreicherin verheiratet bin und das Asylamt mich nach Nigeria ausweisen wollte“, „daß der Bescheid negativ sei und ich ohnehin ausreisen müsse“, „daß es dort an Kapazitäten fehlt“, „daß der Fall ohnehin aussichtslos sei und sie dafür keine Zeit hätten“. Letztere Formulierung wiederholte sich öfters.
Die Gesamtzahl der „Caritas-Verschmähten“, die unser Wartezimmer füllen, ist weitaus höher. Noch mehr solche Protokolle aufzunehmen, hat uns dann aber die Zeit und auch die Lust gefehlt. Dafür haben wir für alle diese Leute gute Rechtsmittel eingebracht.
Das ist übrigens keine Kritik an den Mitarbeitern der Caritas; wir arbeiten mit vielen von ihnen gut zusammen und wissen, mit welchem Engagement und unter welchem Stress sie sich für ihre Klienten einsetzen. Es ist vielmehr eine Kritik an der Caritas-Chefetage und ihrer opportunistischen Politik.
Wir haben in diesem Jahr bisher 36 Asylverfahren erwachsener Flüchtlinge (plus 26 Kinder) gewonnen: 19 Tschetschenen, 5 Iraner, 3 Georgier, 2 Armenier, 1 Afghane, 1 Iraker, 1 Kirgise, 1 Weißrussin, 1 Sudanese, 1 Bosnier und 1 Moldawier erhielten dank unserer konsequenten, parteiischen Rechtsvertretung Asyl.
Die Tendenz ist also im Vergleich zu früheren Jahren fallend, was vor allem auf die restriktivere Spruchpraxis bei tschetschenischen Flüchtlingen zurückzuführen ist. Viele Verfahren sind aber beim Asylgerichtshof anhängig, obwohl schon Verhandlungen stattgefunden haben und die Sachen eigentlich entscheidungsreif sind.
Die größten und schönsten Erfolge errangen wir im Kampf gegen Schubhaft und „Dublin“: Das ist die entscheidende Stelle der Front, weil es darum geht, ob die Menschen überhaupt in den Genuß eines Asylverfahrens kommen oder vorher schon verschwinden.
Dank unseren Rechtsmitteln wurden seit Jahresbeginn 49 „Dublin“-Bescheide erwachsener Flüchtlinge (plus 29 Kinder) behoben.
Das sind natürlich (schon angesichts der 257 von uns eingebrachten Berufungen) nur lauter Tropfen auf den brandheißen Stein. Aber jeder Mensch, den wir vor der Abschiebung retten konnten, ist zumindest eine kleine Bresche in die Mauer der Festung Europa und tröstet uns über viele tagtägliche Niederlagen hinweg.
In diesem Zusammenhang erinnern wir uns daran, dass einer der Anwälte des (von der Caritas maßgeblich mitgetragenen) „Netzwerk Asylanwalt“ auf einem Koordinationstreffen vor zwei Jahren allen Ernstes die Frage aufgeworfen hat, ob Dublin überhaupt weiter bekämpft werden soll.
Wir haben heuer 33 Schubhaftbeschwerden gewonnen; dank unserem Einsatz, der den Verwaltungsgerichtshof zu einer Änderung der Judikatur bewog, wurde der Prokop’sche Schubhaftparagraph zu totem Recht. Ein entscheidender Durchbruch, der uns mit besonderem Stolz erfüllt.
Das Rechtsberatungsteam des Jahres 2008 umfaßte – neben einem Zivildiener und einer wechselnden Zahl ehrenamtlicher PraktikantInnen – drei aus Spendengeldern bezahlte Teilzeitkräfte:
Michael Genner (25 Wochenstunden), Mag. Judith Ruderstaller (12 Wochenstunden seit April; tatsächlich ist Judith aber jede Woche bis zu 60 Stunden, also großteils ehrenamtlich, im Einsatz!), Mag. Tanja Svoboda (10 Wochenstunden, Juni bis Oktober; wir gratulieren ganz herzlich zur Geburt ihres Kindes und hoffen, sie bald wieder in unseren Reihen zu sehen).
Mag. Volkan Kaya leistete bei uns vom 1.2. bis 31.10. 2008 seinen Zivildienst ab und war ebenfalls eine wichtige Stütze des Teams. Er gehört auch weiterhin (ebenso wie sein Vorjahrskollege, Mag. Max Raschhofer, zu unserem juristischen „Think-tank“.
Hinzu kommen ständig drei bis vier JusstudentInnen (stellvertretend sei Alice Spunda genannt, die das Ausscheiden von Tanja und Volkan voll ausgeglichen hat), denen wir – ebenso wie den DolmetscherInnen – für ihren ehrenamtlichen Einsatz ganz besonders danken!
Im nächsten Jahr drohen neue Verschärfungen des Asyl- und Fremdenrechts, kommen neue Herausforderungen auf uns zu.
Liebe Leserinnen und Leser, helfen Sie uns helfen:
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Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not
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