Von vereinten Familien und verhinderten Abschiebungen
Fallbeispiele von Mag. Norbert Kittenberger,
Leiter der Rechtsabteilung von Asyl in Not

Das Ende des Jahres rückt näher und damit ist es auch an der Zeit, Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, von den Erfolgen zu berichten, die Sie uns mit Ihrer Unterstützung ermöglichen. Dabei habe ich drei Fälle ausgewählt, die mir besonders am Herzen lagen, drei Familien, für deren gemeinsamen Verbleib in Österreich wir uns unermüdlich einsetzten und uns damit letztlich gegen das Bundesasylamt durchsetzen konnten. Sie stehen stellvertretend für 150 andere Menschen, deren Verfahren wir in diesem Jahr gewinnen konnten.

1.)
Später Friede


Lassen Sie sich zunächst in die eisigen Steppen Kasachstans im Winter des Jahres 1944 entführen. Ramsan ist damals vier Jahre alt und kämpft um sein Überleben, nachdem Stalin ihn und eine halbe Million andere Tschetschenen und Inguschen aus seinem Heimatland deportiert hat – die erste Abschiebung in seinem Leben, die er überlebt hat, im Gegensatz zu tausenden anderen, die verbrannt, ertränkt und hingerichtet wurden oder einfach zusammengepfercht in Viehwaggons verhungert oder erstickt sind.

Ende der Fünfziger Jahre kehrt er nach fast zwei Jahrzehnten der Demütigung zurück und findet einen Platz in seiner Heimat, die weiter von den Leuten besetzt ist, die ihm bereits im Kleinkindalter ihre unmenschliche Härte zeigten. Aber er gliedert sich ein, gründet eine Familie, führt sein Leben, bis die Peiniger von einst den Fall ihres Imperiums mitansehen müssen und die junge Tschetschenische Republik das Licht des Tages erblickt. Ihr Keim wird, wie wir wissen, schnell erstickt und zwei Kriege entstehen daraus, in denen beide Seiten unvorstellbare Gräueltaten begehen und einen Konflikt begründen, der bis heute kein Ende gefunden und inzwischen fast den gesamten Nordkaukasus in eine instabile Krisenregionen verwandelt hat.

Ramsans Sohn Muslim wird am Höhepunkt des zweiten Krieges im Jahr 2001, als die internationale Staatengemeinschaft entsetzt auf Afghanistan und die USA blickt und die Menschen im Nordkaukasus dem „Kampf gegen den Terrorismus“ opfern, schwer verwundet und die nächsten Jahre verfolgt und eingesperrt, 2007 flüchtet er aus Tschetschenien. Österreich erkennt ihm Asyl zu, lässt ihn und seine Familie hier Schutz finden. Schutz, aber keinen Frieden, denn wegen der Folgen seiner schweren Verwundung ist er kaum in der Lage sich und seine Familie zu versorgen, lebt mehr schlecht als recht von einem Tag auf den nächsten.

Ramsan selbst ist inzwischen fast 75 Jahre alt, Repressalien ausgesetzt und kaum noch in der Lage für sich alleine zu sorgen, aber immer noch tatkräftiger und gesünder als sein Sohn Muslim, der die Unterstützung seines Vaters in Österreich dringend benötigt.

Ramsan flieht also hierher und sucht Österreich um Schutz an, doch er scheitert an der Festung Europa mit ihren juristischen Gräben aus verwirrenden Bestimmungen, die das Bundesasylamt als Abwehrschild Schutzsuchenden bereitwillig entgegenhält: Spanien hat ihm ein Visum ausgestellt, also soll er doch dort seinen Asylantrag stellen.

70 Jahre nach seiner ersten Abschiebung nach Kasachstan, sollte er nun erneut in einen fremden Staat deportiert werden, der selbst seit Jahren mit einer zusammenbrechenden Wirtschaft und sozialen Unruhen kämpft, fern von seiner Familie, fern einer Aussicht auf eine Zukunft für einen alten, bereits kranken Menschen.

In dieser Lage kam er zu uns, bat uns um Hilfe und fand sie auch. In mehreren Schriftsätzen informierten wir den Asylgerichtshof von der verzweifelten Lage der Familie, führten aus, dass die Familie nur gemeinsam in gegenseitiger Unterstützung menschenwürdig über die Runden kommen kann, erklärten, dass nicht nur der Vater und Großvater Ramsan seine Schwiegertochter und seine Enkel im hohen Alter benötigt, sondern auch diese und der Sohn Muslim auf seine Hilfe angewiesen sind, um den Alltag zu bewältigen.

Der Asylgerichtshof ließ sich überzeugen und sah es als „sachgerecht“ an, „den bereits betagten Beschwerdeführer zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr nach Spanien auszuweisen, wo er keine Verwandten oder sonstigen Anknüpfungspunkte hat“ und verpflichtete Österreich dazu das Asylverfahren durchzuführen.

Damit hat Ramsan die ersten Hürden des europäischen Asylwesens überwunden. Nun ist es an Österreich, ihm auch ein Aufenthaltsrecht zu gewähren, um das wir auch weiter kämpfen werden; denn wenn der Asylgerichtshof völlig zutreffend schon eine Ausweisung Ramsans nach Spanien aus humanitären Gründen nicht als zulässig ansieht, dann kann eine Deportation nach Tschetschenien erst recht nicht menschenwürdig sein.

Ramsan hat vorerst Frieden an seinem Lebensabend gefunden. Wir werden uns dafür einsetzen, dass ihm dieser späte Friede nicht wieder genommen wird.

Mag. Norbert Kittenberger, Asyl in Not

Weitere Beispiele werden folgen.

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