Eine alte Frau muß sich verstecken
Sie ist der Abschiebung gerade noch entgangen. Ihre Angehörigen saßen schon im Flieger; nur sie hat man nicht erwischt. Sie lebt jetzt irgendwo bei gutgesinnten Menschen in diesem Land. Ich habe bei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Bludenz für sie einen Antrag auf „Duldung“ gestellt.
Für den Vollzug ihrer Ausweisung ist sie nämlich zu krank. Aus dem Attest des Gemeindearztes: „Es wird bestätigt, daß Obgenannte sich derzeit in einem dermaßen reduzierten physischen und psychischen Zustand befindet, daß eine Transportfähigkeit ärztlicherseits nicht bestätigt werden kann.“
Ebenso in einem anderen ärztlichen Befund: „Untersucht wurde u.a. die Frage, ob die Patientin gesundheitlich einen Abschiebeflug via Moskau nach Tschetschenien überstehen würde. Abgekürzt wird hiermit attestiert: Die Patientin leidet derzeit an einer bedenklichen psychovegetativen Schwäche, die dringender Behandlung bedarf: vegetatives Erschöpfungssyndrom (ICD-10: G93.3).
„Die stark adipöse deutlich vorgealterte Patientin wird von zwei Herren gebracht, da sie kaum noch in der Lage ist selbst zu gehen. Während der Untersuchung hat sie kaum die Kraft, die Augen offen zu halten und spricht oft zu leise und auch sehr undeutlich. (….)
„Fazit: Eine Abschiebung in dem derzeit zu ermittelnden gesundheitlichen Zustand ist unverantwortlich, es besteht besonders hinsichtlich des Zieles der Reise Lebensgefahr, es drohen Herz-Kreislaufkollaps, Versagen des endokrinen Systems und Nervenzusammenbruch mit Verstärkung der Depression bis hin zu psychotischen Symptomen. Auch in absehbarer Zeit ist nur mit geringer Besserung zu rechnen, die Sorgen um das Wohl der Tochter werden die Patientin auch noch weiter beschäftigen. Die Patientin ist auch unter Einsatz von Beruhigungsmitteln definitiv nicht in der Lage, einen Abschiebeflug unbeschadet zu überstehen.“
Ihre Abschiebung ist somit sowohl faktisch unmöglich als auch rechtlich unzulässig. Österreich hat daher ihren Aufenthalt zu dulden (das sieht das Gesetz zwingend vor). Aber die Bezirkshauptmannschaft Bludenz beantwortete meinen Antrag so:
„Sehr geehrter Herr Genner, bezugnehmend auf Ihren Antrag wird mitgeteilt, daß Frau A. seit 20.2.2013 nicht mehr in Österreich gemeldet ist, offensichtlich untergetaucht ist und sich der Abschiebung entzogen hat. Somit besteht keine Zuständigkeit der BH Bludenz. Mit freundlichen Grüßen, Martin Kerschat, Abteilung III – Polizei und Verkehr, BH Bludenz, Schloss-Gayenhofplatz 2, 6700 Bludenz, Tel. 05552/6136-51320, bhbludenz@vorarlberg.at.“
Dieses Verhalten der BH Bludenz ist skandalös und kann nicht geduldet werden. Ich habe nun dem zuständigen Herrn Kerschat geschrieben, daß meine Mandantin gegen Zusage des freien Geleits bereit ist, zwecks Abholung ihrer Duldungskarte in seinem Amt zu erscheinen, daß sie aber aus Gesundheitsgründen nicht einvernahmefähig ist.
Das Unrecht hat stets Namen und Adresse. Im Beharrungsfalle behalten wir uns weitere Schritte gegen diese unmenschliche Behörde vor.
Michael Genner
Obmann von Asyl in Not
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Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not
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