Ein skandalöser Asylamtsbescheid
Vom Asylgerichtshof behoben – Erfolg unserer Rechtsvertretung
„Herr Asylwerber, Ihre Aussage ist weder glaubhaft noch nachvollziehbar! Sie werden nochmals an Ihre Wahrheits- und Mitwirkungspflicht erinnert!“
Diese Wortfolge kommt ziemlich oft vor im Protokoll der Einvernahme meines Klienten R. aus Dagestan. Er war schon einmal negativ beschieden worden, dann in seine Heimat zurückgekehrt und, neuerlich verfolgt, wieder nach Österreich geflüchtet.
Das Bundesasylamt Innsbruck, erbost über seine Frechheit, schon wieder einen Asylantrag zu stellen, hatte nur eines im Sinn: Widersprüche zu konstruieren. R. wurde ständig unterbrochen und fertig gemacht.
Bei der zehnten Frage zum Fluchtweg sagte R.: „Ich bin nicht hierher gekommen um zu streiten. Warum fragt man mich nicht, warum ich wieder nach Österreich gekommen bin?“ Das Asylamt vermerkt: „Der Asylwerber regt sich auf, warum er über seine Probleme nicht reden kann. (…) Weiters wird er auf seine Mitwirkungspflicht aufmerksam gemacht“.
Gleich darauf wieder: „Es ist weder glaubhaft noch nachvollziehbar, dass Sie zu Ihrem Reiseweg keine Angaben machen können und ist offensichtlich, dass Sie versuchen hier Ihren Reiseweg zu verschleiern. Sie werden an dieser Stelle nochmals an Ihre Wahrheits- und Mitwirkungspflicht erinnert.“
R. versuchte noch ein paar Mal, zu erklären, warum er vom Reiseweg nichts mitbekommen hatte. Vergebens: „Sie werden nochmals … Mitwirkungspflicht… Die falschen Angaben führen zur Ablehnung Ihres Asylantrages.“
R. hatte in Dagestan nahe der tschetschenischen Grenze gewohnt. Im ersten Krieg hatte er die Tschetschenen unterstützt. Im zweiten nicht mehr; es hatte ihm nicht gefallen, dass tschetschenische „Wahhabiten“ (islamische Fundamentalisten) in Dagestan einmarschiert waren, um dort die Scharia einzuführen. Herr R. ist ein eigensinniger Mensch: er lässt sich nicht gerne unter Druck setzen. Das legten ihm gleichermaßen Asylamt und Wahhabiten zur Last.
R.’s Frau entstammt einer wahhabitischen Sippe; ihr erster Mann war ihr Cousin und ebenfalls Wahabit gewesen. Nach seinem Tod hätte sie die Zweitfrau eines seiner Brüder werden sollen. Stattdessen hatte sie Herrn R. geheiratet. Die Brüder des verstorbenen Mannes brachen R. die Nase und drohten, ihn umzubringen.
Daher flüchtete R. mit Frau und Kindern nach Österreich. Ihre Asylanträge wurden vom Asylamt und vom UBAS als „unglaubwürdig“ abgewiesen.
Sie kehrten daher nach Dagestan zurück; R. zog aber aus Sicherheitsgründen nicht in die gemeinsame Wohnung, sondern zu einem Freund und kam nur abends unter dem Schutz der Dunkelheit auf Besuch. Trotzdem wurde er von Nachbarn erkannt und denunziert.
Eines Abends wurde R. am Rückweg von einem solchen Besuch von vier bewaffneten, maskierten Wahhabiten überfallen, mit einem Auto weggebracht und in einen Keller gesperrt. Dort blieb er zwei Monate bei Wasser und Brot. Er wurde oft misshandelt, zusammengeschlagen; die Entführer verlangten, er solle für sie arbeiten und Terroraktionen ausführen. Er sagte weder ja noch nein, denn er wollte Zeit gewinnen.
Wer die Männer genau waren, konnte R. dem Asylamt nicht mitteilen; er hatte sie nicht danach gefragt. Was einmal mehr die Auffassungsgabe der Beamtin überstieg:
„Wenn man entführt wird, möchte man als erstes den Grund wissen! Nicht nachvollziehbar, dass Sie nicht gefragt haben, wer diese Männer sind…“
Ohne Zweifel war die Beamtin schon oft in einer solchen Lage… R., resignierend:
„Warum stellen Sie solche Fragen. Wenn man entführt wird, fragt man die Entführer nicht, warum man entführt wird und wer diese Leute sind.“
Eines Tages – am Ende des Fastenmonats Ramadan – öffnete einer der Entführer die Luke, ließ die Leiter herunter und kam in den Keller. R. lag dort völlig entkräftet am Boden; einige Ziegelsteine benützte er als „Kopfpolster“. Der Mann bückte sich und schüttelte ihn. Trotz seiner Schwäche nützte R. die Gelegenheit, ergriff einen Ziegelstein und schlug den Mann auf den Kopf, sodaß er das Bewusstsein verlor. Dann flüchtete er über die Leiter ins Freie.
Zunächst fand er Zuflucht bei seiner Schwester (genauer: in der Wohnung seiner Nichte, wo die Schwester gerade auf Besuch war – diese Nuance wurde ihm dann vom Asylamt als „Widerspruch“ ausgelegt). Dann flüchtete er zum zweiten Mal nach Österreich.
„Herr Asylwerber, Ihre Aussagen stehen im krassen Widerspruch zu einander. Zuerst reden Sie von Fastenmonat, wo die Sünden vergeben werden. Nun behaupten sie, dass Sie einen dieser Männer mit einem Ziegelstein auf den Kopf geschlagen hätten und dadurch geflüchtet wären. Sie werden nochmals an Ihre Wahrheits- und Mitwirkungspflicht erinnert. Die falschen Aussagen führen zur Ablehnung Ihres Asylantrages!“
Hübsch, dass das Asylamt sich solche Sorgen um den heiligen Fastenmonat machte. Da kann man doch niemanden auf den Kopf schlagen! – R., offenbar schon recht müde:
“Ich kann einfach nur sagen, dass der Mann mir Wasser zum Trinken geben wollte. Ich habe ihn mit einem Ziegelstein geschlagen und dann bin ich geflüchtet.“
So geht es weiter, viele Seiten lang. R., nach dem zwanzigsten Vorhalt: „Offensichtlich habe ich alles umsonst gesagt. Die sieben Brüder des verstorbenen Mannes meiner Frau sind Wahhabiten.“ – Darauf die Asylbeamtin (in totaler Unkenntnis des Aktes – oder aus reiner Bosheit?): „Nun haben Sie einen völlig neuen Grund!“
Vermerk: „Der Asylwerber wirkt während der gesamten Einvernahme ungeduldig. Er erhebt seine Stimme ständig. Er hört auf die ihm gestellten Fragen nicht und versucht immer wieder eine andere Antwort zu geben.“
Am Ende war Herrn R. wohl alles egal. Das Protokoll vermerkt seine völlig resignierende Antwort: „Ja, ich habe gelogen.“
Der Asylantrag wurde abgewiesen. Ich begleitete R. zur Verhandlung in den Asylgerichtshof. Das ist auch immer ein Lotteriespiel, zu wem man dort kommt. In diesem Fall: Christine Amann und Peter Chvosta. Das war ein Glück; bei anderen, die ich kenne, wäre es anders ausgegangen.
Herr R. hatte nun endlich Gelegenheit, seine traurige Geschichte in Ruhe zu erzählen. Von der Gefangenschaft im Keller, den physischen und psychischen Foltern, bis zur Trennung von seiner Frau, die jetzt wieder bei den wahhabitischen Brüdern lebt und ihnen (auf seinen Rat) einreden musste, ihre kleine Tochter sei nicht von ihm.
Aus dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes:
„Der Beschwerdeführer hat persönlich einen überaus glaubwürdigen Eindruck vermittelt. (…) Das Bundesasylamt hat (…) verschiedene Aussagen (…) gegenübergestellt, aus denen sich gar kein Widerspruch ableiten lässt. (…) Bei den vom Bundesasylamt angeführten Widersprüchen (…) handelt es sich in Wirklichkeit um einzelne, völlig aus dem Zusammenhang gerissene Angaben des Beschwerdeführers.“
So „ist beim zuständigen Senat der Eindruck entstanden, dass das Bundesasylamt von vornherein in antizipierender Weise von der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers ausgegangen ist.“
Herr R. hat Asyl erhalten. Nach vielen verlorenen Jahren, die ihm von österreichischen Behörden gestohlen worden sind.
Michael Genner,
Asyl in Not
Spendenkonto:
Raiffeisen (BLZ 32000),
Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not