Die Aufrechten

Die Aufrechten sind immer eine Minderheit. Jedenfalls – in den harten Zeiten. Vor siebzig Jahren war keiner gezwungen, seines Nachbarn Hab und Gut zu plündern. Aber er „durfte“ es tun, wenn der Nachbar ein „Jud’“ war. Nur wenige leisteten Widerstand. Nicht die Kirchen; die Bischöfe begrüßten den Anschluß. Nicht die Sozialdemokraten; Karl Renner stimmte freudig mit „Ja“. Und schon gar nicht die Austrofaschisten, die Zerstörer der Demokratie.

Es gab Widerstand in Österreich. Mein Vater Laurenz Genner, vor 1934 Nationalratsabgeordneter der SPÖ, wurde 1938 Kommunist. Und mit ihm tausende frühere Sozialdemokraten, die die Schande nicht ertragen wollten. Er wusste zwar von den Moskauer Prozessen und lehnte sie ab; aber die KPÖ war die einzige Partei, die 1938 zum Kampf gegen die Nazis aufrief. Mein Vater hat ihr – trotz Enttäuschungen und Konflikten – bis 1956 gedient; nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands trat er (wie viele andere) aus.

Der Widerstand gegen die Nazis war schwach. Aber es gab, immerhin, die Akten des Dokumentationsarchivs zeigen es, in fast jedem größeren Betrieb in Wien eine illegale Zelle, die versuchte, die Rüstungsproduktion zu sabotieren. Mit ohnmächtigen Mitteln; aber jede gelockerte Schraube, jeder Schaden an einem für die Front bestimmten Motor war ein kleiner – und doch so wichtiger – Beitrag zur Niederlage des Naziregimes.

Als die Zelle im Siemens-Werk Leopoldau aufflog, verraten von Spitzeln der Gestapo, schrieb der Staatsanwalt empört: Die Angeklagten hätten „viele Jahre lang das Elend der Arbeitslosigkeit gespürt“ und erst, „als der Nationalsozialismus auch in den Alpen- und Donaugauen die Führung übernommen hatte“, wieder “sichere Stellungen in ihrem Berufe“ gefunden. „Trotzdem haben sie sich in ihrem Betriebe kommunistisch gegen das Reich betätigt!!!“

Einige Siemens-Arbeiter wurden hingerichtet, andere verschwanden hinter Gittern. Der Widerstand schlug zurück. Die „Rote Front“ (so hieß die illegale Zeitung, die mein Vater in Wien herausgab) schrieb im Juli 1942, dass „wir vier von den Siemensspitzeln bereits kennen. Über diese Lumpen ist das Urteil schon gesprochen.“

„So sehr einem das widerstreben mag, und so sehr ich in Friedenszeiten gegen die Todesstrafe bin“, sagte mein Vater – „im Kampf gegen die Gestapo durften wir auch vor Hinrichtungen nicht zurückschrecken.“

In seiner Gruppe gab es auch eine „U-Boot-Referentin“, Doris Brehm, deren Aufgabe es war, geheime Unterkünfte für Juden, Deserteure und andere „Unterseeboote“ zu organisieren. „Es gab private Villen“, schrieb sie 1945, „in deren Kellern Menschen wohnten, die nie das Tageslicht sahen. Es gab Schrebergartenhütten, wo Familien im Dachgeschoß hausten und sich kaum rühren konnten, damit kein Nachbar Verdacht schöpfte.“

Nur wenige gingen das Risiko ein, Verfolgten zu helfen. Der Widerstand war ohnmächtig im Vergleich zur faschistischen Maschine, die das Land beherrschte. Aber es gab ihn, er war möglich, er wird auch in Zukunft möglich sein.

Die Widerstandskämpfer hofften auf ein anderes, ein besseres Österreich. Sie wurden nach der Befreiung bitter enttäuscht. Darum ist ihr Kampf nicht zu Ende. Auch heute nicht.

Michael Genner

Obmann von Asyl in Not

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