Asylrichter Nikolas Bracher hat Willkür geübt.
(Aber er ist kein Lügner, sondern ein ehrlicher Mann…)
Richter Nikolas Bracher (Asylgerichtshof Linz) wollte einen kurdischen Flüchtling, ein schwer traumatisiertes Folteropfer, in die Türkei ausweisen. Dieses Skandal-Erkenntnis ist nun aufgehoben. Unser Dank gilt Rechtsanwalt Herbert Pochieser, der das wichtige Verfahren gewonnen hat.
(VfGH U 2516/11-8, 5. März 2012).
Herr K., Kurde aus der Türkei, war 1993 als Anhänger der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nach bedingter Entlassung (2010) hätte er seinen Wehrdienst ableisten müssen. Dem entzog er sich durch Flucht nach Österreich.
Als ehemaliger PKK-Sträfling müßte er nämlich beim türkischen Militär unmenschliche Behandlung durch seine Vorgesetzten befürchten. Außerdem hatte er nicht die geringste Absicht, dem Staat zu dienen, der sein Volk unterdrückt.
Herr K. war in der türkischen Haft immer wieder gefoltert worden. Einige Male war er in den Hungerstreik getreten. Seine Gesundheit ist zerrüttet. Ein sechsseitiger Befund der Therapeutin Dr. Ledebur (Verein „Hemayat“) beschreibt ausführlich seine Symptome und diagnostiziert eine “komplexe posttraumatische Belastungsstörung zu Folge serieller Traumatisierung in Gefangenschaft“.
Diesen Befund legte ich zusammen mit einem erläuternden Schriftsatz dem Asylgerichtshof vor. Ebenso eine handschriftliche Ergänzung von Herrn K. selbst, worin er unter anderem über kurdische Soldaten berichtete, die beim türkischen Militär ermordet worden waren.
Ohne Verhandlung und ohne weitere Ermittlungen wies Asylrichter Bracher K.‘s Beschwerde ab. Als Begründung meinte er sinngemäß, Militärdienst müsse jeder machen; daß K. dort etwas passieren würde, sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Weiters schrieb er, im Befund von Frau Dr. Ledebur, den ich vorgelegt hatte, befinde sich die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht.
Im Dezember 2011 griff ich Richter Bracher in einer Aussendung per Internet unter dem Titel „Asylgerichtshof Linz: Verwahrlosung der Judikatur“ öffentlich an (http://www.asyl-in-not.org/php/asylgerichtshof_linz,12304,29151.html), worauf dieser Protest-Mails erboster LeserInnen bekam.
Bracher schickte mir seinerseits ein E-Mail und warf mir vor, die Judikatur nicht zu kennen. Seine Kammer habe „in zahllosen Fällen“ (als ob es dadurch besser würde!) entschieden, daß die Wehrdienstentziehung in der Türkei „per se“ kein Asylgrund sei.
Diese Judikatur sei „nicht Ausdruck eines unmenschlichen Asylsystems in Österreich oder gar richterlicher Willkür“, sondern entspreche auch der bundesdeutschen Judikatur.
Bracher weiter im O-Ton: „Sollte Ihnen selbst – als langjährigem Berater von Asylwerbern – dies nicht geläufig sein, so empfiehlt es sich, dass Sie sich im Hinblick auf Ihre Tätigkeit als Berater mit diesem Umstand vertraut machen. Wollten Sie aber entgegen besseres Wissen die Entscheidungsbegründung im gg. Fall als abwegig darstellen, so würden Sie sich wohl dem begründeten Verdacht der Irreführung Ihrer Leser aussetzen.“
Zuletzt verlangte Bracher von mir eine Entschuldigung, weil ich seine Behauptung, im Befund Dr. Ledeburs stehe nichts von posttraumatischer Belastungsstörung, als „freche Lüge“ bezeichnet hatte.
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat nun der Beschwerde von Rechtsanwalt Herbert Pochieser stattgegeben und Brachers Erkenntnis behoben. Und zwar mit der ausdrücklichen Begründung, daß der Fall dieses besonders exponierten Asylwerbers eben nicht mit dem eines gewöhnlichen Wehrdienstverweigerers zu vergleichen sei.
Dem belangten Asylgerichtshof, so der VfGH, sei „willkürliches Vorgehen vorzuwerfen“. Herr K. werde somit in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.
Herr K. sei nämlich auf dem Höhepunkt des Konflikts zwischen türkischem Staat und PKK für sechzehn Jahre inhaftiert worden.
„Auf die Frage, inwieweit speziell dem Beschwerdeführer in dieser exponierten Stellung im Fall eines drohenden Strafverfahrens wegen Militärdienstverweigerung oder bei Ableistung seines Militärdienstes womöglich Verfolgungshandlungen asylrelevanter Eingriffsintensität drohen, wird in keiner Weise näher eingegangen“, rügt der VfGH.
Der Asylgerichtshof habe keine eigenen Ermittlungen angestellt, sondern sich nur auf die vom Bundesasylamt benutzten Länderberichte gestützt und lasse daher „auch ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren vermissen“.
„Ein willkürliches Vorgehen“, erläutert der VfGH, „liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt.“
Wir empfehlen Richter Bracher nachdrücklich, sich mit dieser Judikatur vertraut zu machen.
P.S.:
… Aber gelogen hat er nicht …
Inzwischen haben wir durch Akteneinsicht festgestellt, daß im Akt des Asylgerichtshofes exakt jene Seiten des Befundes von Frau Dr. Ledebur fehlen, auf denen die posttraumatische Belastungsstörung ausdrücklich diagnostiziert wurde. Es handelt sich um die Seiten 4 und 5. Vielleicht sind sie beim Faxen nicht durchgegangen.
Es befinden sich nur die Seiten 1, 2, 3 und 6 dieses Befundes im Akt; die Seiten sind groß und deutlich nummeriert.
Richter Bracher war es daher (einfache Grundkenntnisse des Zählens von eins bis sechs vorausgesetzt) denn doch zumutbar, von sich aus zu erkennen, daß die in meinem Schriftsatz ausdrücklich erwähnte Diagnose wohl auf einer der fehlenden Seiten stand, und mich höflich um deren Nachreichung zu ersuchen.
Daß er dies unterlassen hat, ist ein weiterer Verstoß gegen seine Ermittlungspflicht. Richter Bracher ist also kein Lügner, diesen Vorwurf nehme ich zurück; aber er hat das Verfahren extrem mangelhaft und pflichtwidrig geführt, was für unseren Mandanten neuerlich Haft, Folter und vielleicht den Tod zur Folge haben konnte.
In seinem E-Mail an mich schreibt Bracher übrigens, „dass selbst das Aktenkundigsein einer solchen Diagnose nichts am Gesamtergebnis geändert haben würde“.
Und das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: Auch im Wissen um die schwere Traumatisierung dieses unglücklichen Menschen, der für seine Gesinnung jahrelang im Gefängnis gesessen ist und gefoltert wurde, hätte er ihn bedenkenlos in die Hände seiner Verfolger überstellt.
Richter Bracher ist kein Lügner, sondern ein ehrlicher Mann. Er trägt seine Gesinnung offen zur Schau…
Michael Genner
Obmann von Asyl in Not
Spendenkonto:
Raiffeisen (BLZ 32000),
Kontonummer 5.943.139, Asyl in Not