De mortuis nil nisi bene?

Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich waren und sind die Formulierungen Michael Genners in seiner Aussendung vom Neujahrstag 2006 „Eine weniger“ und „Die gute Meldung zum Jahresbeginn: Liese Prokop … ist tot“ schlichtweg inakzeptabel und auch weder dem Geschehen angemessen noch seinen und unseren Anliegen entsprechend. Die Nachricht vom Tode eines Menschen kann grundsätzlich nie eine Gute sein; speziell nicht, wenn er unter derart tragischen Umständen eingetreten ist.

Allein der Tod eines Menschen bietet aber per se auch noch keinen Anlass zu Glorifizierungen, wie sie ob der Verstorbenen derzeit quer durch alle politischen und nichtpolitischen Lager zu vernehmen sind. Sie habe dem Amt ein menschliches Antlitz verliehen (Kardinal Schönborn), sei eine Person des Ausgleichs gewesen (Bundespräsident Fischer), habe menschliche Politik gemacht (VP-Klubobmann Molterer), sich stets um die Aufrechterhaltung von Gesprächsbereitschaft bemüht (Grün-Obmann Van der Bellen). Ministerin Prokop sei ein anständiger Mensch gewesen (Grün-Abgeordneter Pilz).

So wenig also hingenommen werden kann, Menschen noch nachzutreten, die ohnehin schon vor einem anderen Richter stehen, umso mehr muss es aber bei aller Pietät erlaubt sein, den in mehr oder weniger plötzlicher Sympathie für die Amtstätigkeit der Verstorbenen geeinten Nachrufern der politischen Wahrheit zu liebe doch auch das eine oder andere entgegen zu halten. Anderenfalls bliebe die Instrumentalisierung des Todes von Liese Prokop zur Verharmlosung ihrer menschenverachtenden Politik unwidersprochen.

Aus der Fülle der bedenkenswerten politischen Fehler seien hier jene in Erinnerung gerufen, die Roland Hermann (Kanzlei Dr. Wolfgang Rainer) dieser Tage zusammengefasst hatte:

1.      Auf die Frage von Armin Wolf in einer ZIB 2, ob gegenüber dem Folteropfer Bakary J. nicht eine Entschuldigung angebracht wäre, fiel Frau Ministerin Prokop bloß ein: “Man darf nicht vergessen, dass es sich um einen verurteilten Drogendealer handelt.”

Welcher Stein ihr mit einer Entschuldigung aus der Krone gefallen wäre, ist unerfindlich. Immerhin waren die rechtskräftig verurteilten Folterer Polizisten und auch verurteilte Drogendealer haben Anspruch darauf, nicht gefoltert zu werden. Eine Entschuldigung wäre also das Wenigste gewesen, was zur Wiedergutmachung hätte getan werden können.

2.      “Ehe ohne Grenzen” – Frau Ministerin Prokop war bis zuletzt NICHT zu einem Gespräch mit den betroffenen inländischen Ehepartnern bereit. Den vollmundigen Versicherungen ihrer stattdessen zur Kopfwäsche durch die empörten Angehörigen vorgeschickten Ministerialbeamten zum Trotz sind dem Vernehmen nach bis dato gerade einmal zwei (!!!) von rund 100 bereits vor Monaten eingereichten Fällen gnadenhalber positiv erledigt worden. Dass in so genannten “Altfällen” im Erlasswege die Hürden bezüglich einer Inlandsantragstellung beseitigt worden wären, ist ein inzwischen bereits durch mehrere negative Höchstgerichtserkenntnisse widerlegtes Gerücht geblieben.

3.      Das zwar in Grundzügen noch aus der “Ära” Strasser stammende, aber unter der Federführung der Ministerinnen Prokop und Gastinger endredigierte und dem Nationalrat zur Beschlussfassung vorgelegte (und mit den Stimmen der SPÖ beschlossene !) Fremdenrechtspaket 2005 hat unzählige Verschärfungen und Fallen für Asylsuchende mit sich gebracht, womit der Slogan “Schneller Schutz für jene, die ihn brauchen, aber Stopp dem Missbrauch” verlässlich verfehlt wurde. Asylverfahren dauern nun allein schon deshalb noch länger, weil sie um einiges komplizierter geworden sind, und die neu eingebauten Formalhürden sind eine Fundgrube, wenn es weniger um ein rasches sachgerechtes Ergebnis geht als vielmehr um bloßen Zeitgewinn, wohingegen gerade Traumatisierte, Folterüberlebende und andere “klassische” politische Flüchtlinge ohne das bis hin zur Selbstaufgabe reichende Eintreten der Ute Bocks und Michael Genners regelmäßig durch den Rost fallen würden.

Alleine schon die Idee, Schubhäftlinge nötigenfalls zwangszuernähren, stellt einen menschenrechtlichen Tabubruch dar. Zwangsernährung ist immerhin eine verbreitete  Foltermethode und auch die Androhung von Folter menschenrechtswidrig. Die Unterwerfung unter politische “Sach”zwänge ist keine Rechtfertigung, sondern in Wahrheit nichts als eine Ausrede. 4.      Zwischen direkter politischer Verfolgung und der Schutzverweigerung gegenüber politisch Verfolgten besteht übrigens lediglich ein gradueller, in der Begehungsform (unmittelbare Täterschaft / Beitragstäterschaft) gelegener Unterschied.

5.      Nicht zuletzt dürfen dank der von Frau Ministerin Prokop getätigten Aussagen zur von ihr vorgelegten “Moslem-Integrationsstudie” unsere rund 400.000 muslimischen MitbürgerInnen inzwischen auszählen, wer von ihnen nun zu den angeblich 45 % “Integrationsunwilligen” zu rechnen sein könnte und wer nicht. Die Studie hat zu dieser Frage nämlich keineswegs so klare Worte gefunden wie die Ministerin. Aber ein bisserl Addieren ersetzt wohl jedes Differenzieren.

Frau Ministerin Prokop mag eine verdiente Spitzensportlerin, eine bewährte Landesrätin in Niederösterreich und anzunehmend auch privat ein anständiger Mensch gewesen sein. In Zusammenhang mit ihrer Amtstätigkeit als Innenministerin wirken aber die ihr aktuell verliehenen Prädikate “menschlich”, “um Ausgleich bemüht”, “gesprächsbereit” bzw. “anständig” vielmehr wie ein Schlag ins Gesicht sowohl der zahlreichen Opfer ihrer Politik als auch derjenigen, die – wie auch Michael Genner in langen mehr als 17 Jahren – unermüdlich dagegen angekämpft haben.

Der jähe Tod der Innenministerin ist bedauerlich und tragisch und unser Mitgefühl gilt selbstverständlich den Angehörigen. Aber zumindest bei Würdigung ihrer Amtstätigkeit als Ministerin sollte die Wahrheit nicht ausgeblendet bleiben; speziell wo es daneben ohnehin auch noch genügend andere, unbestrittene Lorbeerkränze gibt.

Volker KierEhrenobmann von Asyl in Not

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