Danial M., ein Opfer des österreichischen Asylsystems

Danial M. wurde im November 2012 aus Österreich abgeschoben. Er hatte sieben Jahre als Asylwerber in Österreich gelebt. Seine Fluchtgründe hat ihm weder das Bundesasylamt noch der Asylgerichtshof geglaubt.

Danial M. wurde im November 2012 aus Österreich nach Moskau abgeschoben. Er reiste von dort in seine tschetschenische Heimat und wurde am 9. Dezember 2012 in Untersuchungshaft genommen. Am 29. September 2014 wurde er zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilt. Wegen Beteiligung an einer „Bande“ und wegen Waffenbesitz. Er hatte sieben Jahre als Asylwerber in Österreich gelebt. Seine Fluchtgründe hat ihm weder das Bundesasylamt noch der Asylgerichtshof geglaubt.

 
Im Asylverfahren hatte er von Anfang an und durchgehend angegeben, er werde von den russischen und tschetschenischen Behörden wegen Beteiligung an einer „Bande“ gesucht. „Bande“ ist in Tschetschenien und Rußland (wie übrigens früher auch in Nazideutschland) die offizielle Bezeichnung für den bewaffneten Widerstand.
 
Weiters hatte er angegeben, daß er Fluchthilfe für seinen Bruder geleistet habe; daß das Verfahren gegen ihn wegen Bandenbildung zunächst eingestellt, dann aber wieder aufgenommen worden sei, weil seine Fluchthilfe für verwundete Kämpfer aufgeflogen war; daß er mit den Kämpfern in einem Lager in den Bergen war, bis sie aufgeflogen sind.
 
Und daß er sich im Winterlager der Rebellen eine Augenkrankheit zugezogen habe, die dann der unmittelbare Anlaß für seine Ausreise war.
 
Daß er selbst eine Waffe getragen (wenn auch nicht geschossen) hat, hat er (zugegeben: unvorsichtig) erst in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof gesagt.
 
Also negativ, auch in  zweiter Instanz! „Gesteigertes Vorbringen“ im Amtsjargon. Auch sonst hat er sich in Einzelheiten widersprochen. So etwa auf die Frage, warum er einmal nach Belgien weitergereist sei: Er habe dort seine Augenkrankheit behandeln lassen wollen. Und weiter: Er habe dort Freunde. Was für ein Widerspruch! 
 
Oder auch: daß er einmal vorbrachte, einer der von ihm über die Grenze geschmuggelten Verwundeten sei danach verhaftet worden und habe ihn auf einem Foto identifiziert; ein anders Mal aber, der Verhaftete habe mit dem Finger auf ihn gezeigt… Mit dem Finger auf das Foto natürlich! So viel logisches Denken sollte auch österreichischen AsylrichterInnen zumutbar sein.
 
Danial hatte vorgebracht, das Verfahren gegen ihn sei zunächst eingeleitet worden, weil er sein Auto einem Kurier des Rebellenpräsidenten Maschadov geborgt habe; er sei verhaftet, aber von einem maskierten Mitarbeiter der Sondereinheit „Vympel“ nicht identifiziert worden. Er sei freigelassen worden gegen Lösegeld, und weil seine Aussage glaubhaft war, er habe das Auto nur hergeborgt und ein anderer sei gefahren.
 
Bei der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof präzisierte Danial auf Nachfrage, die Nichterkennung durch den Maskierten habe seine Rücküberstellung von „Vympel“ an die „gewöhnliche Miliz“ zur Folge gehabt, freigelassen worden sei er sodann aus den beiden anderen genannten Gründen (Lösegeld, und weil nicht er das Auto gefahren habe).
 
Für den Asylgerichtshof ein Widerspruch! Dergleichen zieht sich durch das ganze Verfahren:
 
Danial hatte unter anderem auch sein Augenleiden, das er sich im Rebellenlager zugezogen hatte, als Ausreisegrund vorgebracht. Auch das wurde ihm als Widerspruch angelastet; er habe doch auch gesagt, er habe wegen seiner Unterstützung für die Rebellen ausreisen müssen!
 
Daß ein Ereignis (wie etwa die Flucht) nicht nur eine Ursache haben könnte, sondern mehrere, verstanden die in seinem Fall entscheidenden Personen offenbar nicht. Danial wäre ohne sein Augenleiden vielleicht noch länger bei den Kämpfern geblieben und hätte der Verfolgung getrotzt; mit dem Augenleiden hielt er aber nicht mehr durch und floh.
 
In dem umfangreichen Akt, den mir Danials in Österreich lebende Familie zur Verfügung gestellt hat, wird offenbar, daß es den Behörden nur darum ging, Danial um jeden Preis abzuschieben.
 
Sogar, daß er in Österreich eine asylberechtigte Frau geheiratet und mir ihr ein Kind gezeugt hat, wurde ihm vom Asylgerichtshof als „verantwortungslos“ vorgeworfen: er habe sich doch bewußt sein müssen, wie unsicher sein Aufenthaltsstatus in Österreich war! 
 
Diese Entscheidung stammt übrigens von zwei Gerichtspersonen, die eigentlich nicht zu den Scharfmachern gehören, sondern auch bei uns einen guten Ruf haben, denen aber in diesem Fall ein schrecklicher Kunstfehler unterlaufen ist.
 
Es zeigt sich am Fall Danial M. exemplarisch, wie wenig die im Asylverfahren zumeist angewendeten Befragungsmethoden mit der Wahrheitsfindung zu tun haben. Sie zielen von vornherein darauf ab, „Widersprüche“ zu finden (oft sogar: zu konstruieren), die dann als Abweisungsgründe herhalten sollen.
 
Menschen, die dasselbe Erlebnis mehrmals (und ohne sich vorzubereiten) wiedergeben sollen, widersprechen sich immer ein bißchen; das gehört zu den Grunderkenntnissen der Psychologie und auch der Sprachwissenschaft.
 
Danial war nicht gut vorbereitet; er war auch nicht mein Klient. Er hat offenbar unsympathisch gewirkt bei der Verhandlung. An manchen Stellen der Niederschrift erkennt man, auch ohne dabei gewesen zu sein, daß er „zugemacht“ hat; daß er nichts mehr sagen wollte, weil man ihm ja doch nicht glaubt… Und ja: Er ist auch zweimal vorbestraft.
 
Er hat sich auch in Nebenfragen, wie dem Fluchtweg, tatsächlich in (für die Fluchtgründe belanglose) Widersprüche verstrickt. Aber sein Grundvorbringen (Unterstützung des Widerstandes, Teilnahme an einer sogenannten „Bande“) war immer gleich.
 
Der Asylgerichtshof hat ihn für unglaubwürdig erklärt. Der Staat Österreich hat ihn seinen Verfolgern ausgeliefert. Seine Deportation wurde gewaltsam vollzogen, seine damals im siebenten Monat schwangere Frau (von deren Schwangerschaft die Vorarlberger Fremdenpolizistin angeblich nichts bemerken konnte!) wurde mißhandelt.
 
Das Kadyrov-Regime hat ihn sofort eingesperrt. Aus genau den Gründen, die er im Asylverfahren vorgebracht hatte. Österreich hat nichts unternommen, ihn zurückzuholen. Seine in Vorarlberg zurückgeblieben asylberechtigten Angehörigen erhielten keine Entschädigung, kein Wort der Entschuldigung seitens der Behörden; im Gegenteil: sie wurden danach immer wieder schikaniert.
 
Nota bene: Seit der Asylgerichtshof mit 1.1.2014 durch das Bundesverwaltungsgericht ersetzt wurde, sind die zweitinstanzlichen Verfahren (wenigstens in manchen Bereichen) um einiges besser geworden. Zumal neue, unverbrauchte, unbefangene RichterInnen am Werk sind. Diese Besserungen schreiben wir auch auf unsere Fahne. Sie sind auch ein Erfolg unserer ständigen Kritik.  Für Danial M. und seine Angehörigen ist das aber wohl kein Trost.
 
Michael Genner
Obmann von Asyl in Not
14. Jänner 2014

 
http://derstandard.at/2000010345443/Abschiebung-nach-Moskau-endet-fuer-Tschetschenen-in-russischem-Straflager
https://asyl-in-not.org/php/spenden.php

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