Aus der Arbeit unseres Teams
Zwischen Büro, Schubhaftgefängnis und Fremdenpolizei
Schicksale unserer Klienten
Familie M. (ein zweijähriges Kind, die Frau damals im sechsten Monat schwanger) war, als sie zum ersten Mal zu uns kam, schon rechtskräftig negativ; Verfahrenshilfeanträge an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) wurden gestellt. Der VwGH wollte wissen, warum wir den angefochtenen Bescheid für rechtwidrig erachten; kaum hatten wir das beantwortet, wurde der Ehemann plötzlich verhaftet.
Es folgten dramatische Tage, in denen wir ständig zwischen Schubhaft, Büro, Uni und Zweitjob hin- und herhetzten, Schubhaftbeschwerden schrieben und versuchten, die schwangere Ehefrau und ihren Bruder zu beruhigen. Bald folgte auch schon die Verhandlung beim Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS).
Nach anfänglichem Chaos („Wo ist mein Klient?! Wieso bringt man ihn mir nicht aus der Schubhaft? Und wo ist der Dolmetscher?“) und etlichen Telefonaten durch das UVS-Mitglied konnte die Verhandlung eine Stunde verspätet doch beginnen.
Vorerst mit negativem Ausgang (unsere Beschwerde wurde abgewiesen); aber mit dem Versprechen der Fremdenpolizei, Herrn M. freizulassen, sobald die in Graz lebende Cousine notariell bestätigte, dass sie die gesamte Familie aufnehmen könne. Auf diesen Kompromiß ließen wir uns ein.
Also Telefonate mit der Cousine, dem Notar, genauen Erklärungen, worum es geht, und zwei Tage später waren die Unterlagen auch schon da. Nur leider stand etwas ganz anderes drin als vorgesehen. Also noch mehr Telefonate, neue Termine beim Notar vereinbaren – dann endlich waren die Unterlagen, diesmal mit richtigem Inhalt, in Wien.
Also schnell ein Sprint zur Fremdenpolizei, bevor die knapp bemessenen Parteienverkehrszeiten wieder zu Ende sind, zum Referenten mit dem vielversprechenden Namen Glück, der auch wirklich die nötigen Schritte in die Wege leitete. Danach ein kurzer „Motivationsbesuch“ bei Herrn M. um die Ecke im Gefängnis, in Ermangelung eines Dolmetschers erstmals in Begleitung des Russischlehrbuchs… Und siehe da – am nächsten Tag das „Happy End“, Herr M ist frei und wieder bei seiner Familie in Graz.
Herr H. wandte sich vor einigen Wochen an uns, nachdem seine hochschwangere Frau mit dem zweijährigen Sohn in Schubhaft genommen worden war. Unsere Schubhaftbeschwerde wurde abgewiesen – es scheint nach Ansicht des UVS also durchaus angebracht zu sein, eine schwangere Frau mit einem kleinen Kind einzusperren.
Auch dass Mutter und Kind offensichtlich schwerst traumatisiert waren (das Kind aß nichts und schlug sich selbst, die Mutter litt an schweren Depressionen) schien keine Rolle zu spielen. Herr H., selbst Jurist, war außer sich vor Wut. „Das widerspricht allen elementaren Menschenrechten, wie kann man bloß ein zweijähriges Kind einsperren?!!“
Auch wir waren zutiefst schockiert und ratlos, so eine unglaubliche, menschenverachtende Aktion hatten selbst wir noch nie erlebt. An diesem Dienstagnachmittag war das gesamte Büro in heller Aufregung: Stundenlang telefonierte unsere Sozialarbeiterin Dani Falkner mit der Caritas, der Fremdenpolizei und zahlreichen anderen Organisationen – die Lage schien aussichtslos, niemand konnte oder wollte der Familie helfen.
Bei uns machte sich immer mehr Verzweiflung breit – wir konnten Herrn H. und die vierjährige Tochter ja unmöglich einfach so wieder wegschicken. Die beiden hatten zuvor schon nächtelang auf Bahnhöfen im Freien übernachtet, weil ihnen niemand eine Unterkunft gewähren konnte. Zwischenzeitlich sprachen wir noch telefonisch mit Frau H. in der Schubhaft. Sie flehte uns an ihrer Familie zu helfen – die Frau war psychisch und physisch am Ende ihrer Kräfte.
Kurz vor 18 Uhr kam dann doch die erlösende Nachricht: Dani hatte mit ihren Interventionen Erfolg: Die Fremdenpolizei willigte ein, die Familie ins gelindere Mittel zu nehmen, die Frau freizulassen und ihnen eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Szenenapplaus für Dani, in unserem mit Klienten gefüllten Büro…
Eine Beamtin der Fremdenpolizei hatte ein Einsehen und erledigte die Formalitäten noch am selben Abend. Um 20 Uhr dann endlich das freudige und tränenreiche Wiedersehen. Die Mutter konnte ihre kleine Tochter und den Mann nach zwei Wochen Haft endlich wieder in die Arme schließen. Bei diesem Anblick waren sogar die Beamten der Fremdenpolizei gerührt.
Um 22 Uhr verließen wir dann schließlich erschöpft und übermüdet, aber erleichtert das Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel und begleiteten die Familie zu ihrer Unterkunft. Dieser (nicht nur wettertechnisch) eisige Frühlingstag endete also nach langem Bangen doch mit einer Art „Happy End“.
Frau I. wandte sich Anfang dieses Jahres in Folge eines außergewöhnlichen Ereignisses an uns. Ihr vor fünf Jahren in Tschetschenien verschollener und mittlerweile tot geglaubter Mann war vor einigen Tagen nach Österreich gekommen. Doch statt eines freudigen Wiedersehens mit seiner Frau und dem achtjährigen Sohn erwartete Herrn I. die Schubhaft. Direkt nach seiner Ankunft am Bahnhof wurde er von der Fremdenpolizei aufgegriffen und bekam seine Familie nach so langer Zeit der Trennung nur im Gefängnis zu sehen.
Seine Frau war mit den Nerven vollkommen am Ende: Nachdem sie die letzten fünf Jahre mit der ständigen Ungewissheit leben musste, ob ihr Mann noch am Leben sei und unzählige psychische Zusammenbrüche, Therapien und Krankenhausaufenthalte hinter sich hatte, ging der Albtraum nun weiter. „Am schwersten fällt es mir, unserem Sohn, der außer sich vor Freude ist, dass sein Vater endlich wieder da ist, zu erklären, warum er ihn nur im Gefängnis sehen kann.“ erzählt Frau I.
Diesmal hatte unsere Schubhaftbeschwerde Erfolg. Frau I., von uns verständigt, machte sich sofort auf den Weg von Linz nach Wien, wo es endlich zu dem lang ersehnten Wiedersehen in Freiheit kam.
Herrn I.’s Asylantrag wurde erstinstanzlich negativ entschieden, weil man ihm nicht glaubte, dass seine Frau und sein Kind tatsächlich bereits seit vier Jahren als anerkannte Flüchtlinge in Österreich leben. Unserer Berufung gab der UBAS statt – wir hoffen, dass die Familie I. sich endlich ein normales Leben in Österreich aufbauen kann und der jahrelange Albtraum ein Ende nimmt.
Mag. Judith Ruderstaller (Rechtsberaterin)
Yasmin Weber (Dolmetscherin)
Beide arbeiten seit anderthalb Jahren ehrenamtlich für Asyl in Not. Für ihren Einsatz danken wir ihnen sehr! Judith, die in dieser Zeit ihr Studium abgeschlossen hat, können wir seit Anfang April – unseren Spendern sei Dank – auf ein halbes Jahr (Teilzeit und schlecht bezahlt) anstellen, bis wir sie (hoffentlich nicht?!) ans Gerichtsjahr verlieren.