An Stelle eines Nachrufs bringen wir hier die Rede, die Johanna Dohnal am 5. Juni 1999 auf dem Flüchtlingsfest von Asyl in Not gehalten hat. Ihre klaren Worte haben nichts von ihrer Gültigkeit verloren.

Johanna Dohnal

Wien / WUK, 5. Juni 1999

14. Flüchtlingsfest zugunsten von Asyl in Not

Sehr geehrte Damen und Herren

liebe Freundinnen und Freunde!

Ich danke für die Einladung, Ihr Fest zu eröffnen.

Angesichts all dessen, was sich zurzeit in und um Österreich abspielt, fiel es mir sehr schwer
über eine Festrede nachzudenken. Also habe ich mich zu einer „festen Rede“ entschlossen –
auch in der Überzeugung, dass ich mit meiner Gefühlslage nicht alleine bin.

Wenn viele in unserem Land sagen „Das Boot ist voll“, dann meinen sie, dass es
gerechtfertigt ist, in einem der reichsten Länder dieser Welt die Grenzen für arme Menschen
dicht zu machen.

Sie finden es gut, dass sich der reichere Teil Europas als Festung abschottet.

Sie finden es scheinbar in Ordnung, dass die ärmsten Länder Europas

wie Albanien und Mazedonien zurzeit viele Hunderttausende Flüchtlinge aufnehmen. Wir
kaufen uns ja ohnehin frei von unseren Nachbarinnen und Nachbarn in Not. Ein paar Tausend
werden bei uns aufgenommen – mit maximaler Medienberichterstattung erfahren wir

vom Fernsehschirm und durch diverse Printmedien wie gut wir sind.

Wenn Frau Österreicherin und Herr Österreicher einige hundert Millionen Schilling spenden
(damit die Flüchtlinge auch dort bleiben, wo sie gerade sind), dann ist das fürs Fernsehen ein
Quotenrenner, und im Übrigen dürfen wir uns in unserer Hilfsbereitschaft als „beispielgebend
in Europa“ sonnen.

Das alles überdeckt so schön unsere weniger gemütlichen Seiten:

Den latenten Rassismus, die steigende Ausländerfeindlichkeit, Diskriminierung und
Menschenrechtsverletzungen, die in diesem Land in einem erschreckenden Ausmaß
„Normalität“ werden.


Die Medien haben ihren Teil an Meinungsbildung dazu beigetragen,

– wenn heute vielfach beim Wort „Asylant“ gleichzeitig Kriminalität mitgedacht wird
– wenn dunkelhäutige Menschen als Drogendealer gelten
– wenn Politiker hochgejubelt werden, weil sie einen Zuwanderungsstopp versprechen
– wenn sich im österreichischen Parlament eine Abgeordnete über die in der Natur von
Schwarzafrikanern begründete besondere Aggressivität auslässt

Politiker, die sich heute hinstellen und vom „tragischen Tod eines Schubhäftlings“ –
sprechen, und die höchsten Beamten der Republik, die erklären, sie wüssten nichts von der
Praxis in ihrem Verantwortungsbereich, die werden mittels medialer Schlagzeilen nicht nur
zum Verbleib aufgefordert, Ihnen wird auch noch das Vertrauen des Regierungschefs
ausgesprochen.

Das Entsetzliche daran ist,

– dass die Bevölkerung nicht einstimmig betroffen aufschreit, sondern ebenfalls von
einem „tragischen Tod“ spricht, als wäre Herr Omofuma bei einem Verkehrsunfall
verunglückt
– dass man nicht einmal den Anstand hat, den Menschen Omofuma wenigstens posthum
respektvoll zu behandeln, sondern ihn durch die konsequente Bezeichnung
„Schubhäftling“ auf einen Tatbestand reduziert und ihn selbst zu einem „Fall O.“
herabwürdigt
– dass die Tat durch einen „Kommunikationsfehler“ erklärt wird, als wäre lediglich ein
Telefongespräch unterbrochen worden

Dies passiert in Zeiten einer Koalitionsregierung, in der sich die eine Partei als „christlich“
versteht. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass im Zuge der vielgerühmten


Modernisierung Werte wie Nächstenliebe auf folkloristische Events vertagt wurden – etwa auf
das Herbergsuchen in der Adventzeit.

Die andere Regierungspartei verspricht soziale Demokratie – genauso wie die Mehrheit der
Regierungsparteien in der Europäischen Union.

Eine sozialdemokratische Politik müsste dem gemäß also daran zu messen sein, welche
Rahmenbedingungen und Strukturen sie schafft, um Gerechtigkeit zu vergrößern, Angst vor
Armut und Not zu verkleinern und welche konkreten politischen, wirtschaftlichen und
humanitären Maßnahmen sie im Hinblick auf die internationale Solidarität ergreift.

Nicht nur aus humanitären, sondern auch aus demokratiepolitischen Gründen bin ich in großer
Sorge über die Beliebigkeitspolitik, die gerade auch von den Sozialdemokraten betrieben
wird. Eine Politik, die gerade in Bezug auf die Einwanderungs- und Asylpolitik den
niedrigsten Instinkten, die durch Massenmedien gepuscht werden, nichts entgegensetzt.

Ich weiß, wie schwierig es ist, eine Politik zu vertreten, die nicht von vorneherein
mehrheitsfähig ist, die nicht an den Stammtischen beklatscht wird und die nicht zur Erhöhung
von Beliebtheitskurven führt.

Dennoch glaube ich, dass es Politikern und Politikerinnen – ob sie sich nun christlich-sozialen,
sozialdemokratischen oder liberalen Ideen verschrieben haben, eine gemeinsame
Verpflichtung sein müsste, alles zu tun, um Fehler und Katastrophen aus der Geschichte nicht
zu wiederholen. Es wurde schon einmal nicht bzw. zu spät oder falsch gehandelt – für
politische Häftlinge in Konzentrationslagern war es ein spätes Erwachen. Vielleicht ist es
verfrüht, solche Überlegungen anzustellen, aber andererseits denke ich, es kann gar nicht früh
genug gewarnt werden.

Um den festen Ring, der unter dem Titel „Harmonisierung der Asyl- und
Einwanderungspolitik“ bekannt ist, um die reicheren europäischen Länder schließen zu
können, wurden panische und in ihrer Tendenz ausländer- und flüchtlingsfeindliche
Meldungen und Prognosen in die Welt gesetzt:

Weder die von den Medien anfangs 1991 groß angekündigte Überschwemmung Mittel- und
Westeuropas durch acht Millionen russische Armutsflüchtlinge noch die von einigen


westlichen Innenministerien im Zusammenhang mit dem Golfkrieg ernsthaft befürchtete pro-
irakische, moslemisch-fundamentalistische Terrorwelle hatten etwas mit der Wirklichkeit zu
tun.

Was damit allerdings erreicht wurde, ist, dass immer mehr Menschen

von der Politik verlangten, sich gegen eine imaginäre Ausländerflut zur Wehr zu setzen.

Und damit schließt sich der Kreis. Denn die Abschottung der Mehrhabenden vor den
Wenigerhabenden wurde mit dem Argument durchgesetzt, dass das Volk die Anwesenheit
von immer mehr Ausländern nicht mehr zu dulden bereit sei.

Und niemandem von den Regierungsparteien und Sozialpartnern, die diese Politik forciert
hatten, stieg die Schamesröte ins Gesicht, wenn sie die zahlreichen mitteleuropäischen
Lichterketten der Antirassismusbewegung unterstützten und schlussendlich
instrumentalisierten.

Wir Österreicherinnen und Österreicher haben ein multikulturelles Erbe. Wir haben viele
Chancen versäumt, es weiter zu entwickeln.

Als durch Europa nahezu unüberwindbare Mauern und Stacheldrähte gingen, hatten wir eine
Politik der offenen Türe. Heute haben wir Hausverbot.

Es wird unendlich schwierig sein, hier etwas zu ändern, solange sich Politiker und Parteien
auf des Volkes Meinung berufen können und sich feige, aber machtbewusst an
kleinformatigen Zurufen orientieren.

Ich bin sehr froh darüber, dass es in diesem Land einige nicht-staatliche Organisationen gibt,
die nicht nur ganz konkrete Beratung und Hilfe leisten, sondern auch konkrete politische
Forderungen erheben – etwa nach der Einführung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes. Ihnen
möchte ich danken, dass sie das andere Österreich für Integration und gegen Rassismus
sichtbar machen.

Ich bin auch froh darüber, dass es in der Politik, in Kirchen und in manchen Redaktionen
noch Menschen gibt, die sich weder durch physische Bedrohung (z.B. Briefbomben), noch
durch mediale Jauchenüberschüttungen (z.B. Stoisits – Kronenzeitung) einschüchtern lassen.


Ich wäre froh darüber, wenn die Gastfreundschaft Österreichs einmal nicht an
Nächtigungszahlen von Touristen gemessen werden könnte, sondern daran, dass fremden
Menschen, die keine kaufkräftigen Devisenbringer sind, Offenheit und Respekt
entgegengebracht wird.

Und mir wäre auch wesentlich wohler, wenn im Vorfeld der EU-Wahlen weniger
fadenscheinig über die Neutralität diskutiert würde, sondern endlich und im Klartext darüber
geredet wird, dass die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen Bestandteil einer europäischen
Außen- und Sicherheitspolitik sein muss.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

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