Happy-end für Tschetschenenfamilie
„Der Genner war’s“
Herr Abuschachid und seine Frau Milana haben endlich Asyl erhalten.
Sie sind 2004 nach Österreich geflüchtet. Abuschachid war als 15jähriger im ersten Krieg in seinem Heimatdorf von Tür zu Tür gegangen, hatte Lebensmittel und Kleider gesammelt und in einem Rucksack zu den Partisanen in den Wald getragen. Jeder im Dorf kannte den Buben.
Als die Russen wiederkamen, versteckte er sich. Seine Frau besuchte er nur selten. Bei einem solchen Besuch wurde er verhaftet. Man hat ihn gefoltert, sein kleiner Finger ist verkrüppelt seither, seelisch geht es ihm seit damals auch gar nicht gut; er wurde aber von seinen Verwandten freigekauft und ist dann schnell abgehauen mit seiner schwangeren Frau.
In Österreich kam er bald nach seiner Ankunft in Traiskirchen in Schubhaft: Dublinbescheid! Obwohl damals noch das frühere, vorprokop’sche Gesetz und die Schutzklausel für Traumatisierte und Folteropfer galt. Und obwohl sogar die Ärztin in Traiskirchen ihm ein posttraumatisches Stresssyndrom und ein „Streckdefizit“ am kleinen Finger attestierte. Seine Abschiebung verhinderten wir durch Proteste, bis der UBAS nach wenigen Tagen meiner Berufung stattgab.
Auf dem Befund der Traiskirchner Ärztin fand der UBAS einen Aktenvermerk der Asylamtsreferentin: „Laut Dr. Eichenseder Dublinverfahren fortsetzen.“ Eichenseder ist der Chef der Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen. Die Beamtin wusste genau, dass sie bei einem solchen Befund keinen Dublinbescheid machen durfte.
Aber andererseits – es hieß doch immer: möglichst viele müssen weg… Also fragte sie den Chef. Und der antwortete, sinngemäß: Mach’s wie immer… Einsperren und abschieben. Den Schubhaftbescheid hat der berüchtigte Traiskirchner Fremdenpolizist Nikolaus Schantl vollstreckt.
Gegen Herwig Eichenseder, Chef der Erstabschiebestelle, habe ich eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs erstattet. Die wurde „zurückgelegt“, wie das so schön heißt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
De Fall hatte viel Aufsehen erregt. Medien berichteten, ich nahm sogar an einer Diskussion im „Puls TV“ teil. Wolfgang Machreich, Redakteur der katholischen Wochenzeitschrift „Furche“, rief Herrn Eichenseder an und fragte, wie denn dieser Aktenvermerk auf den Arztbrief gekommen sei?
Eichenseder – offenbar nicht vorbereitet auf dergleichen dreiste Fragen: Er könne sich das gar nicht erklären, außer vielleicht: Der Genner habe das selber auf den Akt geschrieben!
So stand das dann in der „Furche“, mit dem Vermerk, dass ich schallend lachte, als Machreich mich mit diesem Vorwurf konfrontierte. Herrn Eichenseder trug das eine weitere Klage wegen übler Nachrede ein.
Dieser Prozeß fand tatsächlich statt, und Herr Eichenseder tat sich mit einer brillanten Verteidigungsstrategie hervor:Er habe nämlich überhaupt kein Interview gegeben! Er habe nie mit Wolfgang Machreich telefoniert, selbst die Zeitschrift „Furche“ sei ihm völlig unbekannt. Machreich sagte aber als Zeuge aus und hatte den Notizzettel mit, auf dem er während des Interviews mitgeschrieben hatte. Er erinnerte sich genau, dass Eichenseder gesagt hatte: „Der Genner war’s.“
Also wurde Eichenseder verurteilt, ging in Berufung, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Abuschachid und Milana begleitete ich zunächst zum „Interview“ in die Grazer Außenstelle des Bundesasylamts, wo ein ziemlich gleichgültiger, missmutiger Beamter sie „negativ machte“. Ich erhob Berufung an den UBAS; dort ist der Akt dann lange gelegen…
Irgendwann zwischendurch sah ich Liese Prokop im Fernsehen, die sich über traumatisierte Flüchtlinge lustig machte: Bisher habe es genügt, wenn einer sagte, man habe ihm am kleinen Finger weh getan… Aber jetzt werde diese Schutzklausel abgeschafft. Für jeden halbwegs Informierten war klar: Es war Abuschachid gemeint. Ich war nicht eingeladen zu dieser Diskussion, und von den Teilnehmern wusste (außer Prokop) keiner, worum es ging.
Milana und Abuschachid haben mittlerweile zwei Kinder. Sie leben in einem kleinen Ort in der Steiermark. Er hat sich noch nicht ganz derfangen, ist immer noch psychisch bedient, geht aber regelmäßig zum Psychologen. Ende November waren wir beim UBAS, der nach öfterem Drängen doch endlich eine Verhandlung ausschrieb. Ist positiv geworden.
So hätte es sich eigentlich schon in Graz gehört, oder früher noch, in Traiskirchen. Aber das wäre ja zu einfach gewesen. So schnell darf ein Verfahren nicht zu Ende sein. Schließlich sind wir in Österreich, in Prokopland – oder wie heißt der jetzige? Da müssen die Leute dunsten. Bis sie – hoffentlich – vollkommen erledigt sind.
Schuld daran ist nicht nur der UBAS – obwohl der sich natürlich hätte beeilen können. Sondern vor allem: die wiederholten rechtswidrigen Bescheide des Asylamtes, von Traiskirchen bis Graz…
Michael Genner
Asyl in Not
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