Religionsfreiheit
Michael Genner
Religionsfreiheit !
Die Ausschreitungen des verhetzten, fanatisierten Mob, auf die Straße geschickt von faschistischen Banden und antidemokratischen Regimen islamisch beherrschter Staaten, sind nicht nur ein Angriff auf die Freiheit der Medien, sondern auch ein dreister Angriff auf die Religionsfreiheit. Gleiches gilt für Forderungen nach Sanktionen gegen Medien und Publizisten, wie sie selbst hierzulande laut geworden sind.
Die Pressefreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung (Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention) schützt auch die Verbreitung von Meinungen, die schockierend, irritierend und verletzend sind. Freie Medien sind die Wachhunde der Demokratie. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das wiederholt festgestellt.
Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 9 EMRK) schützt auch die Freiheit, keine Religion zu haben, vom Glauben abzufallen, Religionen überhaupt abzulehnen: Die Freiheit von Religion. Sie schützt religiöse und antireligiöse Weltanschauungen in gleichem Maß.
Daher schützt sie auch die Freiheit, Religionen zu kritisieren, sich darüber lustig zu machen, sie zu karikieren. Das müssen alle jene zur Kenntnis nehmen, die so lautstark (und durchaus mit Recht) für sich selbst Religionsfreiheit fordern: Gleiches Recht für alle!
Die Religionsfreiheit wurde – ebenso wie die Pressefreiheit – hart erkämpft gegen Kirche und Staat. Heute ist sie wieder in Gefahr.
Islamistische Demagogen haben es geschafft, die Öffentlichkeit irrezuführen. In den Medien wird diskutiert, als ginge es um einen Konflikt zwischen Meinungs- und Religionsfreiheit. Auch sonst ernstzunehmende Leute fallen darauf herein. In Wirklichkeit sind beide Grundrechte vom selben Feind, dem religiösen Fanatismus, bedroht.
Manche meinen tatsächlich, die Religionsfreiheit schütze die „Gefühle“ der Religiösen vor so schlimmen Gefahren wie Kritik und Ironie. Davon steht kein Wort in der Menschenrechtskonvention.
Niemand hindert die Musliminnen und Muslime hierzulande an der Ausübung ihrer Religion. Sie dürfen ihren Gott anbeten und ihren Propheten verehren. Sie müssen keinen der beiden abbilden oder karikieren; niemand zwingt sie dazu. Musliminnen dürfen ihre Kopftücher tragen, sogar im öffentlichen Dienst. Nur andere dazu zwingen – das dürfen sie nicht.
Das alles gestehe ich ihnen gerne zu. Aber dafür erwarte ich mir von ihnen auch ein bisschen Respekt vor meiner nichtreligiösen Weltanschauung, die ich – gemäß Artikel 9 EMRK (Religionsfreiheit) – allein oder in Gemeinschaft mit anderen, privat oder öffentlich, frei und offen ausüben darf.
Ich erwarte von ihnen daher auch Respekt vor antireligiösen Filmen wie „Submission“, vor Büchern, die mir etwas bedeuten, wie Ayaan Hirsi Alis „Ich klage an“, vor Salman Rushdies „Satanischen Versen“ – und sogar vor den Karikaturen in Dänemark. Auch diese sind durch die Religionsfreiheit ebenso wie durch die Pressefreiheit geschützt.
Das „Bilderverbot“ des Islam gilt für uns Ungläubige nicht. Niemand zwingt die Musliminnen und Muslime, ihren Gott oder ihren Propheten abzubilden. Aber sie dürfen uns Ungläubige nicht hindern, es zu tun.
Aber sie fühlen sich doch verletzt dadurch? Wie schlimm. Aber wisst Ihr, liebe Musliminnen und Muslime: Ich fühle mich auch oft verletzt.
Ich bin immer wieder aufs Neue erschüttert und fühle mich von den Auswüchsen Eurer Religion beleidigt und verletzt, wenn mir Frauen, die aus islamischen Ländern geflüchtet sind, erzählen, wie sie dort behandelt worden sind.
Ich fühle mich auch verletzt, wenn Schulmädchen in Wien mit Kopftuch auf die Straße geschickt werden, um gegen die „Beleidigung ihres Propheten“ zu demonstrieren; sie wissen noch nicht, welche Beleidigungen ihrer eigenen, ganz persönlichen, ganz intimen Gefühle ihnen seitens ihrer Glaubensrichtung drohen.
Ich empfinde das als Provokation und als dreiste Verhöhnung meiner nichtreligiösen Gefühle, die von der Verfassung und der Menschenrechtskonvention genauso geschützt sind wie die religiösen Gefühle der Christen und Muslime.
Das Kopftuch ist ein religiöses – und zugleich ein politisches Symbol, vor dem Tausende meiner Klientinnen geflüchtet sind. Weil sie nicht so leben wollen, wie es ihnen der Koran befiehlt. Weil sie leben wollen wie normale Menschen. Weil sie frei sein wollen.
Das Kopftuch als religiöses Symbol verletzt mich, den Antireligiösen. Ich mag es nicht sehen, genauso wenig wie das Kreuz. Aber das ist nur mein eigenes Problem, dagegen kann ich nichts tun. Mein Gefühl, aus religiösen Gründen beleidigt zu werden, muß ich runterschlucken. Denn ich achte die Freiheit der Religion.
Das Kopftuch ist aber auch ein politisches Symbol der Unterdrückung der Frauen, der Jugend, der Sexualität; es beleidigt mich daher auch in meiner Eigenschaft als Demokraten, als Antifaschisten, als Vorstandsmitglied von SOS Mitmensch und als Obmann von Asyl in Not.
Als religiöses Symbol respektiere ich das Kopftuch ebenso wie das Bilderverbot: Wer seinen Gott nicht abbilden will, muß es nicht tun. Wer das Kopftuch (freiwillig!) tragen will, soll das tun. Aber ohne andere Leute dazu zu zwingen oder auch nur dazu zu drängen, wie es leider auch in Wien mitunter geschieht!
Als politisches Symbol, das für Millionen Frauen im Iran, in Algerien, in Afghanistan, in Saudi-Arabien, Pakistan, Irak, Njgeria, Somalia, Sudan und vielen anderen Ländern (und vielleicht schon bald in Palästina unter der Herrschaft der Hamas!) Verfolgung, Peitschenhiebe, Folter, Gefängnis und Tod oder die Flucht bedeutet, bekämpfe ich aber das Kopftuch mit aller meiner Kraft: als ein Symbol des Fanatismus und der Repression.
Michael Genner
Asyl in Not
19.02.2006
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