Nicht krank genug…
In einem früheren Rundbrief berichteten wir von einem Erfolg: Ein krebskranker Mann aus Dagestan bekam subsidiären Schutz zugesprochen, da eine Abschiebung für ihn den Tod bedeutet hätte.
Das ist sehr verkürzt ausgedrückt und eigentlich nicht korrekt, denn seine Lage allein hatte noch erschreckend wenig Wirkung darauf, dass er letztendlich in Österreich bleiben durfte. Es spielte viel zusammen: Der Mann litt an einer so lebensgefährlichen Krankheit und hätte im Herkunftsland derart unzureichende Behandlungsmöglichkeiten, dass er bei einer Abschiebung zu ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit unter “qualvollen Umständen” sterben würde. Doch auch das reichte nicht: sein Antrag wurde vom BFA negativ entschieden. Erst vor Gericht gelang es durch exzellente Rechtsvertretung all das zu belegen und entsprechend darzulegen, um eine Abschiebung zu verhindern.
Vergleichbare Fälle gibt es viele: Eine tschetschenische Familie soll Ende des Jahres abgeschoben werden. Das Gericht hat erwogen, die begonnene Behandlung gegen Tuberkulose darf der Vater noch beenden. Leider kaum ein Grund zur Freude, denn die erst in Österreich diagnostizierte Tuberkulose ist nur eine seiner schweren Krankheiten. Der Mann muss dreimal die Woche zur Dialyse und leidet außerdem an Hepatitis B.
Seine starken Medikamente haben dementsprechende Nebenwirkungen, beeinträchtigen seine Konzentration und seine Sehkraft; er ist traumatisiert und seine Angst vor einer Abschiebung löst Schlafstörungen und Depression aus. Kurz: Der Mann befindet sich in einem Gesundheitszustand, in dem er unbedingt angemessen behandelt werden muss, das betonen auch diverse medizinische Schreiben.
Die ohnehin unzureichende Behandlung seiner Krankheiten in ihrer Heimatstadt kann sich die Familie nicht leisten. Vor allem nicht die Dialyse, denn selbst im modernsten Krankenhaus der nächstgrößeren Stadt sind notwendige Spritzen und Medikamente selbst mitzubringen. Als dieses Spital neu eröffnet hatte, wurden noch einige Medikamente zur Verfügung gestellt, mit der Zeit wurde das offensichtlich zu kostspielig. Alles musste selbst bezahlt werden. Die Medikamente sind privat nicht leistbar, doch Blutwäsche alleine reicht eben nicht.
Als sich der Zustand des Mannes täglich verschlechterte, als er beobachtete, wie andere Dialysepatienten innerhalb eines kurzen Zeitraumes an fehlender Behandlung starben, wurde deutlich, dass die Familie keine Wahl hatte, als das Land zu verlassen. In der Hoffnung auf eine lebensrettende Behandlung.
Man könnte meinen, spätestens in einer Verhandlung vor Gericht hätten dieser Mann, seine Frau und ihre drei kleinen Kinder subsidiären Schutz zuerkannt bekommen müssen. Doch zu ihrem Unglück gelangten sie an eine Richterin, die wie es scheint, tschetschenischen AsylwerberInnen grundsätzlich kein Asyl oder subsidiären Schutz erteilt – das ergibt jedenfalls eine Recherche ihrer bisherigen Entscheidungen.
Wer Flüchtlinge einteilt, zählt Tschetschenen gewöhnlich bekanntlich nicht gerade zu den „guten“ und Gründe, eine Abschiebung rechtlich zu legitimieren, sind meist zu finden, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Bestimmungen für schwerkranke Menschen, einen Aufenthaltstitel zu bekommen, sehr streng sind und viel Raum für Abweisungen lassen.
Raum für Abschiebungen wird bekanntlich grundsätzlich nicht nur gerne weitläufig genutzt, sondern dessen Grenzen werden regelmäßig überschritten. In Fällen lebensbedrohlich Kranker werden diese Mängel eben besonders deutlich und folgenreich.
Bei einer derart restriktiven Rechtsprechung bräuchte es eigentlich unabhängige Behörden, die zumindest die grundlegendsten Rechte zugestehen. Doch bei einer derart politisierten und unprofessionellen Entscheidungskultur der Behörden bräuchte es jedenfalls eine gerichtliche Instanz, die Fehlentscheidungen verlässlich aufhebt.
Wenn allerdings Gerichtsverfahren von derartiger Willkür geprägt sind, dass der potentielle Rassismus von RichterInnen berücksichtigt werden muss, dann bräuchte es zumindest eines, nämlich flächendeckend kompetente Rechtsvertretung, die bedingungslos das Wohl der Schutzsuchenden vertritt.
Davon sind wir leider noch weit entfernt, da es Asyl in Not an Geld und daher an bezahlten MitarbeiterInnen fehlt. Bis wir dahin gelangen, werden weiterhin regelmäßig Menschen unter fadenscheinigen Vorwänden in den Tod geschickt.
Rosi Melach
Asyl in Not
ehrenamtliche Rechtsberaterin
Juni 2017
Spendenkonto: Asyl in Not
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